Alles fließt, nur der Wasserhahn tropft

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Zwei Monate sind im Fußball eine lange Zeit. Für die vergangenen Wochen stehen bei mir schon mehr Stadionbesuche (2) in der Statistik als in der gesamten Vorsaison (0). Am 20. August erlebte ich im Max-Morlock-Stadion ein sehenswertes 2-2 gegen Union Berlin. Zweimal glich der Club einen Rückstand aus, mittlerweile hat er gegen Bochum und in Darmstadt sogar zwei Rückstände in einen Sieg verwandelt. Es ist wirklich eine prima Mannschaft mit vielen tollen Spielern, es macht Spaß zuzuschauen, auch wenn es wie gegen Bielefeld nicht immer reicht.Sehenswert waren im Stadion auch die politischen Choreos der Nordkurve an die Adresse des DFB:
„Für dich ist der chinesische TV-Zuschauer wichtiger als der Amateurkicker vom TSV Kornburg.“

Kornburg spielt fünftklassig in der Bayernliga Süd, steht auf Platz 18 von 19 und überlegt gerade, sich von seinem Trainer Herbert Heidenreich zu trennen. Heidenreich stand 1977 mit Gladbach im Halbfinale gegen Dynamo Kiew im Europapokal der Landesmeister. Über Tennis Borussia Berlin kam er zum 1. FCN, wo er von 1978 bis 1984 Denker und Lenker im Mittelfeld war, einen Aufstieg, ein DFB-Pokal-Finale und zwei Abstiege miterlebte.

Die schwere Verletzung seines aktuellen Lenkerdenkers Sebastian Kerk hat der Club gut weggesteckt, es gibt ja auch noch ein paar andere. Die Mannschaft hat dank Michael Köllner endlich wieder eine klare Spielidee und ist auf dem Weg, so sympathisch zu werden wie der 2007er-Kader mit Pinola, Schäfer, Mintal, wenn auch noch nicht so erfolgreich. Mal schauen, ob die Manager eine Idee finden, wie sie die Gang zusammenhalten. Irgendwann sollte es auch Spielervermittlern dämmern, dass große Spieler nur heranreifen, wenn Mannschaften gemeinsam wachsen können. Abdelhamid Sabiri übrigens, der fränkische Ousmane Dembelé, hat nach acht Spieltagen 160 von 720 möglichen Spielminuten in der Premier League für Huddersfield bestritten und noch kein Tor erzielt.

Prag war eine Reise wert – Slavia gegen APOEL Nikosia

Schon am Mittwoch danach war ich wieder im Stadion, diesmal spielte in der Qualifikation zur Champions League Slavia Prag gegen APOEL Nikosia. Es war ein herrlicher Abend, auch wenn Slavia nach dem 0-2 auf Zypern nur ein 0-0 zuwege brachte und verdient ausschied. Slavia spielt in der Eden Arena mit 20000 Plätzen, mitten in der Stadt. Das Spielfeld ist tiefer gelegt und wird von einem Gebäude, in dem man anscheinend wohnen kann, umschlossen. Stadion und Verein gehören einem chinesischen Mischkonzern. An der Fassade der Arena prangen die Porträts großer Spieler: Poborský, Šmicer, Vágner. Slavia feiert 2017 sein 125-jähriges Bestehen, genau wie der FC Liverpool und Hertha BSC. 1892 als Literaten- und Rhetorikervereinigung Slavia gegründet, wurde der Verein zwei Jahre später wegen nationalistischer Tendenzen erst verboten und dann als Sportverein wieder zugelassen. 1896 gründete Slavia seine Fußballabteilung. Unter dem schottischen Coach John William Madden, an den im Stadion überall erinnert wird, hatte Sparta von 1910 bis 1930 europäisches Spitzenniveau. Madden spielte für Celtic und Tottenham und ist in Prag beerdigt. In den letzten zehn Jahren konnte Slavia zwei Insolvenzen abwenden, 2017 wurden sie zum vierten Mal tschechischer Meister. Gegen Nikosia reichte es trotzdem nicht. Es gab alkoholfreies Bier (nealko pivo) und alkoholfreie Kolbasz. Wir saßen neben der Slavia-Kurve, unablässig skandierten die Fans das auch vom Eishockey bekannte Toto-Ho! Etwa 13 Minuten nach Schlusspfiff wurden wir aus dem Stadion geschickt, weil die Sicherheitskräfte zusperren wollten. Vermutlich gilt chinesisches Arbeitsrecht.

Die Zyprioten spielen listig und entschlossen und waren schon zweimal in der Champions League dabei, 2011 wurden sie sogar Gruppensieger. Man darf gespannt sein, ob dem Trainerfuchs Georgios Donis etwas einfällt, um die zuletzt immer durchsichtiger werdende Spielanlage von Borussia Dortmund auszuhebeln.

AbgasWerteBetrug und Financial Fair Play

Apropos Trainerfuchs: Jupp Heynckes ist neuer Trainer bei Bayern München. In den allgemeinen Jubelorgien wurde eisern verschwiegen, dass Don Jupp (damals noch Osram) am 8. Oktober 1991 bei Bayern nach einem 1-4 gegen die Stuttgarter Kickers (Trainer Rainer Zobel mit seinem Nerz) „freigestellt“ wurde. In der jetzigen Situation hat man sich darauf geeinigt, Heynckes als Grandseigneur und Triplegewinner zu verkaufen.

Geeinigt hat man sich auch darauf, überall eine internationale Inverstorenverschwörung gegen die so anständig wirtschaftenden deutschen Vereine zu wittern. Der kicker hat zwei seiner letzten Berichte über den FC Bayern mit dem Hinweis begonnen, dass die Mannschaft bei Audi die neuen Sponsorenfahrzeuge abgeholt hat. Abgesehen von diesem schamlosen Product Placement könnte man bei all dem Gejammer über die finanzstärkeren Vereine auch mal ein Wort darüber verlieren, dass gegen Audi und VW sowie gegen den DFB-Generalsponsor Mercedes Benz immer intensiver wegen Abgasmanipulationen ermittelt wird. Was sagt das Financial Fair Play zu Sponsorengeldern, die durch Betrug erwirtschaftet wurden?

Auf der Stelle eine Sperre für die blöde Hertha

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Als Zweitligist wurde Dynamo Dresden im November 2011 postwendend für den kommenden Durchgang gesperrt, nachdem Fans im Pokalspiel in Dortmund Böller in den gegnerischen Block geschossen hatten. Wenn der DFB dem hässlichen Gerücht keine Nahrung geben möchte, dass kleine Vereine (aus dem Osten) grundsätzlich strenger bestraft werden als große Vereine (aus dem Westen), sollte man Hertha zeitnah im Pokal für die Saison 2018/19 ausschließen. Die Hertha-Fans haben gezielt in den Rostocker Block geschossen und – wie Dynamo in Dortmund – mehrere Spielunterbrechungen (mit-)provoziert. Dass Michael Preetz sich in Leisetreterei und Verallgemeinerung – „wird uns alle beschäftigen“ – ergeht, ist seiner positiven Rolle bei Hertha in den letzten Jahren unwürdig. Mag sein, dass es der Weltmarke Bundesliga Schaden zufügt, wenn ausgerechnet der Hauptstadt-Verein gesperrt wird. Wenn der DFB wissen will, wie man eine Weltmarke ruiniert, möge er sich Fachkompetenz in Wolfsburg, Sindelfingen oder München holen.

Fans, Nichtfans, Hools, Honks, Orcs, Troggs…

Wenn Fans oder Nichtfans, Hools, Honks, Orcs, Troggs, Bonzos, Gonzos, Honchos, erlebnisorientierte Vollpfosten oder wie immer sie gerne bezeichnet werden möchten, gezielt gewalttätig agieren und dabei schwere Körperverletzungen bei den Zielen ihrer Angriffe in Kauf nehmen, reicht es nicht, sein tiefstes Bedauern zum Ausdruck zu bringen und zu hoffen, dass der DFB kneift. Es ist absehbar, dass früher oder später jemand durch diese Artilleriegeschosse für den Endverbraucher ums Leben kommen oder schwerst verletzt werden wird. Es spielt überhaupt keine Rolle, dass das geklaute Hertha-Banner im Block der Rostocker aufgetaucht ist. Ebenso wenig spielt es für die Beurteilung der Hertha-Fans eine Rolle, ob die Vereinsführung von Hansa diese Aktion gebilligt, gedeckt oder unterstützt hat. Gewalttätige Selbstjustiz ist seit der mittelalterlichen Fehde nicht besser geworden. Angriffe mit Leuchtraketen haben eine völlig andere Qualität als eine gezielte Demütigung oder ein Einbruchsdiebstahl, auch wenn erstere vielleicht vermeidbar und letzteres natürlich eine Straftat ist. Der weit verbreitete Reflex, bei Gewalt gegen Menschen (Raketen oder rassistische Attacken) als erstes Gewalt gegen Sachen (Fahnenklau, brennende Autos) dagegen aufzurechnen, wird der spezifischen Qualität von Angriffen auf Leib und Leben nicht gerecht. Meinetwegen werden beide Vereine in der nächsten Pokalsaison gesperrt. Die Dresdner Fans (diesmal die echten und eigentlichen), die in Osnabrück (Feuerzeug auf Schiedsrichter Martin Petersen 2015, Pokalspiel für RB Leipzig gewertet) und all die anderen können ein Lied davon singen, wie es ist, wenn der DFB gerade mal wieder „Konsequenz“ und „Härte“ simuliert. Sie und viele anderen werden es hoffentlich nicht akzeptieren, wenn das Debakel von Rostock keine Konsequenzen hätte. Eine Fankurve ist kein Yogakurs, es darf dort derb zugehen, grob, einseitig, aber Gewaltlosigkeit ist unabdingbar. Die Menschen, die bei Dresden in den Fanblocks stehen, sind seit 2011 deutlich manierlicher und verantwortungsbewusster geworden. Das macht es leichter zu betonen, dass Dynamo, wie Hansa Rostock Gründungsmitglied der gesamtdeutschen Bundesliga 1990, ein ziemlich geiler Verein ist.