Trainingslager in Tokio – Live aus Japan (3)

Wenn ein Reisender in einer Winternacht in Tokio versucht, von Asakusa nach Bakuro-yokoyama zu kommen, kann er die drei Stationen auch laufen. Trotzdem ist die Tokioter U-Bahn ein farbenfrohes Meisterwerk der Logistik, eine bewohnbare Schweizer Uhr. Jede Linie hat ihre eigene Farbe und ihren eigenen Namen: Asakusa, Ginza, Hibiya sowie einen Buchstaben, der sie bezeichnet: A, G, H. Ausserdem hat jeder Bahnhof seine eigene Nummer.  A 18 ist der 18. von 19 Bahnhoefen auf der Asakusa-Linie. Er heisst Asakusa, und wer glaubt, dass koenne man sich doch merken, der wird sich freuen, wenn er hoert, dass es auch die Bahnhoefe Akasaka, Aoyama-itchome, Awajicho, Akihabara und Asakusa-bashi gibt. Unter anderem. Um es trotzdem nicht zu einfach zu machen, haben Umsteigebahnhoefe mehrere Nummern, fuer jede Linie, die dort kreuzt eine andere. Asakusa  ist nicht nur Bahnhof  A 18 der Asakusa-Linie, sondern zugleich G 19 der Ginza Linie.  Und Tameike-sanno ist G 06 auf Ginza, N 06 fuer Namboku, M  14 fuer Marunouchi sowie C 07 fuer Chiyoda. Auf jedem Bahnsteig gibt es Markierungen, die einem zeigen, wo die Tueren der Waegen halten werden, ausserdem Wartemarkierungen. Auf Bahnhoefen, auf denen es sehr voll ist, sind die Schienen mit Waenden vom Bahnsteig abgetrennt, damit keiner vor den Zug gedrueckt wird. Wenn der Zug da ist, oeffnen sich die Schiebetueren, damit alle ein- und aussteigen koennen. In den Zugabteilen gibt es kleine Displays, die die Fahrtrichtung, die naechste Station und alle Umsteigemoeglichkeiten dort anzeigen. Und die Zuege kommen immer puenktlich. In Japan gibt es Linksverkehr. Aha, sagt der Reisende in einer Winternacht, also auf den Rolltreppen links stehen, rechts gehen. Im Prinzip richtig, jedoch in Osaka genau anders rum. Warum, war nicht in Erfahrung zu bringen, jedenfalls haelt dort der in Tokio Sozialisierte den OEPNV dauernd auf. Wenn Linksverkehr, dann vielleicht auch Meilen und Yards? fragt der Reisende. Nein, Meter. Im allessoschoenbunthier  U-Bahn-Labyrinth gibt es staendig Hinweise auf die unterirdischen Passagen, die einen von A nach G, von Asakusa nach Ginza bringen. 480 Meter hier lang, 130 Meter da lang, 60 Meter quer, 280 Meter laengs. Dieser Umstand hat mich darauf gebracht, dass die Tokioter U-Bahn eigentlich der perfekte Ort fuer ein Trainigslager von und mit Felix Magath waere. Eine umgangssprachliche Tokioter Begruessungsformel lautet: Wie sind deine Laktatwerte? Und niemand kann sich wundern, dass 2002 die Japaner (und die Suedkoreaner) allen anderen Teams laeuferisch haushoch ueberlegen waren. Alles, was der Fussballlehrer braucht, ist ein detaillierter Streckenplan der Tokioter-U-Bahn. Dann kriegt jeder Spieler seinen individuellen Trainingsplan: „Also der Alex, der faehrt jetzt von Kasumigaseki nach Kagurazaka und steigt Otemachi um. Treppen runter leicht und locker, den Uebergang im Bahnhof Otemachi  auf 60 Prozent steigern und die Treppen voll durchziehen. Zurueck nach Kasumigaseki und das ganze zehn Mal. Wen ich auf der Rolltreppe erwische, spendet einen Phaeton fuer die Mannschaftskasse.“

Habe ich schon von den nummerierten Ausgaengen gesprochen? Gelbe Hinweisschilder geben die grobe Richtung vor. Nach links A1 bis A13, nach rechts B1 bis B5 sowie C1 bis C8. B1 meint natuerlich B1a sowie B1b. Damit sich Alexander Madlung nicht verlaeuft.

Falls Madlung an der Station Ochanumizo wieder Tageslicht erblickt, kann er auch beim Japanischen Fussballmuseum vorbeischauen. Wahrscheinlich wird es eh nie so weit kommen, denn fuer Medizinbaelle ist in der U-Bahn kein Platz.

Nicht ohne meine Alge – live aus Japan (2)

Was fuer eine Ernuechterung. Das mit den Littbarskistatuen hat sich als Ente entpuppt, nichts dergleichen ist hier zu finden, nicht einmal kleine Tonfigurine. Oder eine Handpuppe. Oder ein Tamagotchi. Aber Littbarski war in Japan, zuletzt bei Brummell Sendai, einer jener schrecklichen Werksclubs, so wie Arsenal London zum Beispiel. Seit mehr als hundert Jahren ist Arsenal ein seelenloser Werksclub. Nach dem Ende seiner sportlichen Laufbahn 1997 betrieb Littbarski in Berlin-Wedding kurzzeitig ein Sushi-Restaurant, zehn Jahre zu frueh, wie die brummelige Reaktion der Weddinger Bevoelkerung zeigte. Sie rief die Berliner Drogenbeauftragte auf den Plan und legte Littbarski eine Currywurst ohne Darm auf die Tuerschwelle. Eine Drohung, die Littbarski so ernst nahm, dass er ueber den Umweg Yokohama, Sydney, Teheran den Weg nach Vaduz fand, wo er heute als Trainer arbeitet und der Designerdroge Nigiri abgeschworen hat.

Halluzinogene Drogen sind eine multipolare Angelegenheit. Hartmut Mehdorn nimmt zum Beispiel irgendein Zeug, aufgrund dessen molekularer Zusammensetzung er sich seit einigen Jahren fuer Gott haelt. Toll fuer Mehdorn, bloed fuer Leute, die die Bahn benutzen oder dort arbeiten. Gott andererseits hat im Apothekenschraenkchen die Ampulle verwechselt und etwas erwischt, unter dessen Einfluss er sich fuer Hartmut Mehdorn haelt. Seitdem leidet er an einer Altersdepression.

Heute Morgen war die Welt fuer mich noch in Ordnung. Eine Substanz befluegelte mich darin, einen 2-1 von Hertha ueber Bayern im Internet zu entdecken, und gaukelte mir sogar voellig glaubhaft vor, dass Marcel Reif im Tagesspiegel die Verantwortung fuer diese Niederlage den Bayern gegeben hat. Er ist ein schlechter Verlierer, und die Bayern waehnt er so dermassen eine Klasse fuer sich, dass sie sogar ihre Niederlagen selbst uebernehmen muessen. Niemand kann jemals besser sein als sie. Wahrscheinlich schnupft er Weisswuerste. So wie Mehdorn. Doping bei Spitzenkraeften ist ja ein Massenphaenomen.

Am Abend dann der richtig miese Flash. Nuernberg 2-6 in Aachen. Vermutlich liegt  es an den Algen, die hier staendig im Essen auftauchen. In der Suppe, auf den Spaghetti, im Salat, auch apokryph im Eis und im Caffe Latte. Aber winzige Fehler bei der Zubereitung veraendern den Kugelfisch fuer Vegetarier nachhaltig. 2-6 in Aaaargh….Der Preis fuer legales Doping ist manchmal viel zu hoch.

In Deutschland dopen die wilden, freien Kreativen – Blogger, Taxifahrer, Webdesigner – mit Rucola. Roman Herzogs Forderung nach einem Ruck haben sie mit einer La Ola froehlich aufgegriffen und in die Praxis umgesetzt. Die Berliner Drogenbeauftragte schaetzt, dass in Prenzlauer Berg 60000 Menschen zwischen 17 und 35 regelmaessig  Rucola konsumieren. Und ihre Dependenzstruktur geben sie an ihre Kinder weiter, die am Kollwitzplatz sitzen und nach Glaeschen mit Rucola und Parmesan schreien.

Morgen, wenn der Jetlag ganz weg ist, werde ich einen algenfreien Tag einlegen und noch einmal in Ruhe nachlesen. Bayern in Berlin, knapp aber nicht unverdient, Nuernberg in Aachen, knapp aber nicht unverdient, beide 1-1. Andererseits, so richtig prickelnd ist das auch nicht. Also gibt es morgen zum Fruehstueck doch wieder Algenmarmelade zum Toast. Besser das Depot auffuellen, wenn am Freitag Schalke gegen Dortmund spielt, damit die grauenhafte Wahrheit so lange wie moeglich ausgeblendet werden kann.

Im Land von Litti-San - live aus Japan

Jetzt hat es mich also auch erwischt. Sie haben mir die Fingerabdruecke abgenommen. Von Hartmut Mehdorn bis zum Einwohnermeldeamt werden jetzt alle wissen, was ich mache, wo ich bin, wen ich waehle, was ich esse, wo ich bin, wenn ich weg bin. Ansonsten begruesst Tokio den uebernaechtigten Reisenden mit zarten 21 Grad und massiven Jetlaghalluzinationen: Greuther Fuerth Tabellenerster in der zweiten Liga, Hoffenheim daheim 4-1 von Leverkusen vom Platz gefegt. Das ist doch alles gar nicht wahr. Aber der Vergnuegungspark im Viertel Asakusa mit dem zwanzig Meter hohen Kettenkarrussel und den Kabinen, die aussehen wie Lebkuchenhaeuser  ist genauso real wie die weitlaeufige Tempelanlage, bei der fuenf Meter grosse Bastschuhe an den Waenden haengen. Gut, dass war jetzt kein so gutes Beispiel. Aber die  じけい Tastatur bereitet noch gewisse Schwierigkeiten. Und wo sind eigentlich die ganzen Denkmaeler fuer Litti-San, der hier angeblich ein Volksheld ist? Der Marco-Polo-Reisefuehrer schweigt dazu, die Frau an der Rezeption der Unterkunft kichert. Schon am Flughafen Narita dachte ich, wenigstens eines der vielen hundert Litti-San-Denkmaeler zu finden. Stattdessen gab es nur eine Fussballzeitschrift footballista am Kiosk und bergeweise Schulmaedchenpornomangas. Footballista ist ueberwiegend auf japanisch verfasst, aber die Namen der Global Players sind auch auf Lateinisch zu lesen. Ich will mich hier so schnell als moeglich eingewoehnen und werde deshalb vor dem Einschlafen hundert Mal Andrej Arshavin auf japanisch abschreiben.  Dann kann ich morgen kleine Zettel aufhaengen: Wo ist das naechste Denkmal von Litti-San? Waere ja noch schoener.