Schlau und unpyrokratisch

Klar, ich bin ein Fan, und seit ein paar Wochen auch Mitglied des 1. FC Nürnberg. Weil ich unbedingt Karten für das Derby gegen Fürth möchte, nächstes Jahr. Und ich stehe auch auf Fankultur. Liebevoll gestaltete Kutten, Schmäh- und Schlachtgesänge, Fatalismus und Selbstironie bei Niederlagenserien und überschäumender Jubel bei historischen Siegen. Dazu Bier und Fachsimpeleien. Die Clubfans vor dem Berliner Olympiastadion mit ihrem „Arrubbabogaal“-Gesang und die Trikots mit Spielernamen aus drei Generationen überall in der Stadt 2007 werden mir ebenso unvergeßlich bleiben wie das Spiel selbst. Ich gehe gerne in den Stehblock, wenn ich noch eine Karte vor dem Spiel ergattern kann, und wenn rot-schwarze und königsblaue Fans zusammen das Schalker Lied singen, wird mir warm ums Herz.

Nicht nur mit Clubberern und Schalkern, auch mit vielen anderen verbinde ich Momente von Leidenschaft, Herzlichkeit und Sachverstand. Die St.-Pauli-Fans, die mich bei einem typischen Hamburger Nieselspiel gegen Wattenscheid aufklärten, warum man beim Eckball für St.-Pauli den Schlüsselbund herausholt, die Fans von Energie Cottbus, die uns freundlich im Stadion der Freundschaft begrüßten, als im Gästeblock noch große, alte Bäume standen, die Eisernen von Union, die ihr eigenes Stadion gebaut haben und pausenlos singen und johlen, und wenn die eigene Mannschaft noch so hoffnungslos daneben- und zurückliegt.

Auch die Unentwegten, deren Herz für Babelsberg oder Uerdingen oder die SpVgg Bayreuth oder für Rot-Weiss-Essen schlägt, sie alle geben diesem Sport etwas, was keine Olmpia-Eröffnungszeremonie in London, kein Merchandising und keine 3D-Übertragung im Pay-TV auch nur annähernd erreichen können.

Trotzdem ist etwas faul in der Fan-Kultur, und wir müssen gar nicht mit dem Finger auf die italienischen Faschisten oder die ungarischen Antisemiten oder die britischen Rassisten zeigen. Die Zerfallserscheinungen gibt es hierzulande genauso. Prügeleien sowie Angriffe auf Schiedsrichter und Spieler in den unteren Ligen sind mittlerweile keine Sensation mehr. Im Pokal oder wenn ein Spiel abgebrochen wird, kann man manchmal einen Blick darauf erhaschen, wie es fernab von Fernsehkameras zugeht.

Mir passt es nicht, dass die Fanorganisationen mancher Erstligisten denken, ein Schal und ein Becher Bier seien die Lizenz für den rechtsfreien Raum. Das fängt bei Busblockaden und Pyrotechnik an und hört bei Menschenjagden auf gegnerische Fans und Attacken auf fremde und eigene Spieler auf.

Ja, der DFB ist ein bürokratischer Moloch. Ja, es geht viel mehr um den Kommerz als früher. Ja, als Mensch, dessen Leben um 34 Spieltage im Jahr kreist, kann man das Gefühl kriegen, als lästiges, aber notwendiges Folkloremodul vom Big Business an den Rand gedrängt zu werden. Aber diese Grauzone zwischen Liebeserklärung und Selbstjustiz tut niemand gut. Mir hat es gefallen, als Trainer Wollitz die Cottbusser Fans beschimpfte und seinen Rücktritt androhte, als diese im Pokal in Wolfsburg randalierten. Ich glaube auch nicht, dass es ein Menschenrecht auf Pyros gibt. Die sind als Zubehör ein jüngeres Phänomen. Ich bezweifle, dass die Fans in den Siebzigern weniger leidenschaftlich bei der Sache waren, als es noch keine Pyros gab.

Was mich im Stadion viel mehr stört, als das Verbot, Fackeln in Brand zu setzen, ist der Musikmüll aus der Konserve, der den Fans die Möglichkeit nimmt, sich warm zu singen. Dagegen sollte man mal protestieren, gegen diese schrecklichen, sterilen Pre-Game-Shows. Das Stadion ist keine Dauerwerbesendung und auch keine Kampfzone. Jeder, der dort hinkommt, soll das Spiel sehen können, ohne Angst zu haben. Ob Steppke, Schwangere oder Greis. Und wenn ich Spiel meine, meine ich keine phosphorhaltigen Nebelschwaden.

Jeder Spieler und jeder Vorstand hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, auch wenn er jeglichen Einsatz vermissen läßt oder die Karre jedes zweite Jahr gegen den Baum fährt. Wer keine schlechten Manager mag, muss sich neue suchen. Es gibt genug Beispiele, wie notorische Skandalnudeln zu gut geführten Vereinen wurden. Wer weiß, was Schwarmintelligenz und innovatives Management alles noch möglich machen. Wer sich als HSV- oder Hertha- oder Köln-Fan über Jahre hinweg eine solche Leistung bieten lässt, hat den Verein, den er verdient. Da muss er keine Drohgebärden auf dem Trainingsgelände zeigen oder pünktlich zum Abstieg Feuer legen. Nürnberg ist siebenmal abgestiegen und hat vom Punktabzug über Dritte Liga und Direktabstieg nach Meisterschaft nichts ausgelassen. Deswegen Max Merkel verprügeln? Oder einem Abwehrspieler auflauern? Wäre im Traum niemand eingefallen.

Die Fan-Clubs haben ein Recht auf Mitsprache und auf Stehplätze, sie haben einen Anspruch darauf, nicht pauschal kriminalisiert und als Hooligans abgestempelt zu werden. Sie haben aber auch eine Verantwortung dafür, was Fußballkultur in den nächsten Jahren sein wird und sein soll. Dazu müssen sie schlau sein, nicht stur. Es fehlt nicht mehr viel, und der Sport wird von denen kannibalisiert, die ihn am meisten lieben.

Meine Saisonprognose steht morgen auf der Wahrheit in der taz. Viel Spaß.

Der Osten rockt

Rostock aufgestiegen, Chemnitz aufgestiegen, Aue fast aufgestiegen, Cottbus fast aufgestiegen (und im Pokal-Halbfinale), Erfurt fast aufgestiegen, Union nicht abgestiegen, Babelsberg sportlich nicht abgestiegen, Neuling Rasenball Leipzig auf Platz vier in der Regionalliga, Magdeburg dortselbst nicht abgestiegen und das Sahnehäubchen gab’s am Dienstag, als Dynamo Dresden in Osnabrück erst in die Verlängerung und dann in die Zweite Liga stürmte. Schahin schießt schwarz-gelb ins Glück, und das ist kein Schreibfehler. Das zweite Spiel gegen Osnabrück war richtig geil. Ein KO-Spiel, wie es sein soll, bis auf die Brandsätze auf der Tribüne. Kein einziger Ostverein aus den Ligen zwei bis vier ist abgestiegen.

Bin sehr gespannt, wie das weitergeht. Man darf die Freiburger, Hannoveraner, Nürnberger und Dortmunder für ihren Spar- und Jugendstil gerne loben, aber heimlich still und leise haben die in den neunziger Jahren auch durch eigene Unbedarftheit so arg gebeutelten Vereine aus dem Beitrittsgebiet eine Menge dazu gelernt. In Dresden sind Calmund und Kirsten mit vollem Herzen dabei, in Rostock hat Beinlich binnen eines Jahres Perspektiven entwickelt und Hansa kann wieder aus seiner hervorragenden Jugendarbeit schöpfen. Union hat sich wieder einmal durchgebissen und will/wird sich gezielt weiterentwickeln. Alle drei Vereine haben neue Stadien. Mittlerweile gibt es in Liga Zwei fünf Ostvereine, alle haben das Zeug zum Aufstieg, Hansa oder Dynamo traue ich auch einen Durchmarsch zu. Chosebuz und die anderen treffen auf die großen Namen längst vergangener Zeit, die Münchner Löwen, die Fortuna aus Düsseldorf, den Frankfurter Adler, die Fürther, Eintracht Braunschweig, den Meidericher SV und naürlich St. Pauli. Zugegeben, es wird einige heikle Spiele mehr in der Zweiten Liga geben, aber die Fans werden nicht so blöd sein, mit dem Arsch einzureißen, was sie mit ihren schönen Gesängen erreicht haben. Fortsetzung folgt.

PS: Ich bin so froh, dass Favre und die Gladbacher das noch gewuppt haben. Möge der Kelch Effenberg an den Borussen und allen anderen Mannschaften des deutschen Profifußballs vorüber gehen. Vielleicht kann der Papiertiger ja zusammen mit Lothar Matthäus Tonga auf einen zweistelligen Platz in der FIFA-Weltrangliste hieven, es wäre eine „reizvolle Aufgabe“ und eine „große Herausforderung“. Gladbachs nächste Saison wird so werden wie die abgelaufene beim Club. Passenden Trainer gefunden (Favre/Hecking), Relegation gewonnen (Bochum/Augsburg), wichtigsten Spieler gehalten (Reus/Pinola) und ab geht die Luzie.