Saisonvorschau – Bayern und Dortmund in der Hitze des Gefechts

Was Paul Breitner alles zusammen fantasiert, wenn er zu lange in der Sonne war, kann man in der Abendzeitung München nachlesen. Wer bei 38 Grad im Schatten trotzdem noch kühl analysiert, kann feststellen, dass die Schockstarre, die die Bundesliga in der letzten Saison befallen hatte, offenbar vorbei ist. Man muss sehr viel laufen gegen diese Bayern und jede Art von Standardsituation in Strafraumnähe vermeiden. Mit beherztem Gegenpressing und einer guten Chancenverwertung kann man sie nicht nur ärgern, sondern auch schlagen. Nicht jeder spielt das so superb wie der BVB, aber auch Schalke, Nürnberg, Mainz, Leverkusen, Freiburg und Gladbach können das. Weitere Erkenntnisse: Das Interview mit Pep Guardiola im Aktuellen Sportstudio am Samstag weckt leise Zweifel an den kommunikativen Kapazitäten des neuen Übungsleiters. Er antwortete an jeder Frage vorbei und rang mit den Worten ähnlich hilflos wie das Bayern-Mittelfeld mit Ilkay Gündogan, der gegen den direkten Nationalelf-Konkurrenten Schweinsteiger einen lockeren Punktsieg einfuhr. Dass der Pep wild gestikulierend taktisches Grundwissen an seine Spieler vermittelt oder seine Lieblingsszenen aus Bruce-Lee-Filmen nacherzählt, kein Thema. Aber im Vergleich zu Guardiolas mündlichen Vortrag hätte Trappatoni auch Dekan einer Germanistik-Fakultät werden können. Seit der Verpflichtung von Thiago frage ich mich außerdem: Wird Schweinsteiger in der Winterpause verfkauft oder noch im Sommertransferfenster? Ich habe das Gefühl, Pep rotiert den Schweini listig aus der Mannschaft. Das ist jetzt natürlich blöd. Erfüllt man den Wunsch des Ärabegründers (Klinsmann hat ja nur den Parkplatz begrünt) und jagt ihm zu Liebe das Urgestein vom Hof? Oder steht man nach Guardiola plötzlich ohne einen der besten Sechser Europas da?  Nach diesem Supercup-Abend bin ich mir sicher, dass die Bayern keinen erneuten Durchmarsch hinlegen werden. Starke und van Buyten patzten zwar kräftig, aber die Einfallslosigkeit der langen Bälle und das halbherzige Zweikampfverhalten kann man ihnen nicht anlasten.

Wenn man von den Durchhängern des Marcel Schmelzer (schon in WM-Form) mal absieht, war das eine großartige Leistung von Dortmund. Der alte Biss ist zurück beim BVB. Großkreutz ist zwar ein primitiver Berufslüdenscheider, spielte hinten rechts aber mehr als nur solide. Und das Sahnestückchen kommt ja noch. Mkhitarian (die erste Silbe wird stimmlos gesprochen, als würden Sie in einem Asthmaanfall tief Luft holen) ist erst in drei Wochen fit. Der passt in diese Mannschaft hinein wie ein Gesäß auf einen tragbaren Flüssigkeitsbehälter mit Henkel. Das wird richtig gut werden. Wer glaubte, Lewandowski würde die Arbeit verweigern, wurde eines besseren belehrt.  Emsig, ballsicher und mannschaftsdienlich spielte der Pole, war überall zu finden, nur nicht in der Schmollecke. Das Einzige, was man sich noch wünschen kann, wäre mehr Mut beim Einsatz von Nachwuchsspielern. Aber beim sportlich völlig wertlosen Supercup gegen einen Gegner wie alle anderen auch, durfte es dann schon die Bestbesetzung sein. Dortmund wird in der kommenden Saison wieder stilbildend agieren, was Trainerjubelposen und Offensivspiel angeht. Die Defensive (bis auf Weidenfeller und Großkreutz) muss noch eine große Schippe drauflegen, damit es für einen weiteren Titel reicht. Lieber noch einen guten Linksverteidiger holen statt Kagawa, oder Sokratis auf dieser Position anlernen. Schmelzer wirkt überspielt und braucht einen exzellenten Ersatzmann.

Manuel Neuer, das Problem Nummer Eins

Am Samstag gegen Nürnberg hat er mal wieder spielentscheidend gepatzt, Manuel Neuer, der vermeintlich beste Torwart seiner Generation. Klar, Feulners Schuß hatte Effet, aber das kommt gelegentlich vor, sogar bei Gegnern, bei denen die Bayern drei Punkte fest eingebucht haben. Der Katastrophenfehler, der Thomas Kraft im April 2011 im Spiel in Nürnberg unterlief, als er von Christian Eigler gleichfalls zum 1-1-Endstand übertölpelt wurde, kostete den jungen Torhüter den Stammplatz und seinen Trainer Louis van Gaal den Job. Neuer wird Feulners Flatterball nichts kosten, genauso wenig wie die beiden kapitalen Böcke gegen Gladbach in seiner Gurkensaison 2011/12. Wer 25 Millionen Euro gekostet hat und von Kim Il McRummenigge mit öffentlichen Liebesbekundungen bedacht wird, steht über aller Kritik. Außerdem wollte vor dem Juni 2012 niemand den wie selbstverständlich anvisierten EM-Titel gefährden, indem er die Nummer Eins der Nationalmannschaft in Frage stellte.

Neuer hat zweifellos überragende Fähigkeiten, bei den Bayern aber ruft er sie aber viel zu selten ab. Seine Leistungskurve geht nach unten, seit er von Schalke weg ist. Dort hatte er beim kicker als Saisonnoten 2,61 (2006/07), 3,10 (2007/08), 2,91 (2008/09), 2,90 (2009/10) und 2,79 (2010/11). In der ersten Saison bei Bayern landete Neuer mit 3,13 auf Platz 16 im Torhüter-Ranking, sogar die bei Bayern ausgebooteten Michael Rensing (Köln) und Kraft (Hertha) standen vor ihm.

In der laufenden Saison hat Neuer die Note 3,00. Vor ihm stehen unter anderem Oliver Baumann (Freiburg), Raphael Schäfer (Nürnberg), der beim DFB ohne Hausmacht agierende Roman Weidenfeller (Dortmund) – und René Adler vom HSV, mit 2,17 auf Platz 2 hinter dem Überflieger Kevin Trapp (Frankfurt). Adlers eindrucksvolles Comeback zeigt, was es bewirken kann, wenn ein Torhüter Leistungsträger ist. Der HSV mit seiner angezählten sportlichen Leitung Frank Arnesen/Thorsten Fink wurde vor Saisonbeginn als Abstiegskandidat Nummer Eins gehandelt. Falls es einen einzelnen Spieler gibt, dem der Liga-Dino sein Sechs-Punkte-Pölsterchen zum Relegationsplatz verdankt, dann ist das Adler. Seit er beim HSV ist, wird die Mannschaft schrittweise besser. Bei Neuer ist man seit seinem Premierenpatzer gegen Igor de Camargo froh, wenn er nicht negativ auffällt. Neuer ohne Chance, so der Minimalkonsens, wenn es mal klingelt.

Ein einziges Spiel hat er den Bayern gerettet, das war das zweite Halbfinale in der Champions League gegen Madrid. Es folgten Rummenigges Elogen. Daniel Klewer hat dem Club gleich zweimal ein Elfmeterschießen gewonnen, im Achtelfinale gegen Unterhaching und im  Viertelfinale gegen Hannover, auf dem Weg zum Pokalsieg 2007. Ist er deswegen eine Kultfigur beim Club? Selbstverständlich. Aber der letzte Weltklassetorwart in der Noris war Andy Köpke. Klewer hat seinen Job gemacht, genau wie die vielen Amateurtorhüter, die auch schon mal ein Elfmeterschießen entschieden haben, vielleicht sogar gegen einen großen Verein. Klewer hat am Ende einen Titel geholt, Neuer nicht.

Neuer hätte zum Beispiel den Kopfball von Didier Drogba halten können, der das 1-1 im Champions League Endspiel 2012 bedeutete. Eigentlich unhaltbar, gewiss. Aber 2006 in der Verlängerung des WM-Endspiels entschärfte Gigi Buffon ein ähnliches Kaliber von Meister Zidane persönlich, ehe dieser dann mit einem weiteren Kopfstoß den vielen Gründen für seine Unsterblichkeit einen neuen hinzufügte. Der kicker schreibt: „Sekunden darauf hatte Zidane nach Sagnols butterweicher Flanke die Riesenkopfball-Chance, doch Buffon ließ den französischen Torschrei mit einem Superreflex verstummen.“ Diese Parade, nicht das anschließende Elfmeterschießen stellte Buffons Extraklasse unter Beweis. Auch Neuer hätte einen unhaltbaren Kopfball halten können, hat er aber nicht. Dafür hat er sich im Pokalendspiel 2012 gegen Dortmund von Lewandowski tunneln und einige Wochen zuvor im entscheidenden Bundesligaspiel vom gleichen Spieler mit einem Hackentrick übertölpeln lassen.  Klar, die Feldspieler der Bayern standen in allen drei Situationen neben sich, aber das war beim HSV zwei Jahre lang nicht anders – bis Adler kam.

Rufen wir uns die Voraussetzungen für Neuers kometenhaften Aufsteig noch einmal ins Gedächtnis. Nach der WM 2006 war Jens Lehmann die alleinige Nummer Eins im Tor der DFB-Elf. Als legitimer Kronprinz galt Timo Hildebrand, der seine Ansprüche mit der Meisterschaft im Tor des VfB Stuttgart 2007 unterstrich und danach mit dem Abstecher nach Valencia seine Karriere erst einmal gegen den Baum fuhr. 2008 beendete Lehmann seine Karriere im DFB-Team, Robert Enke und René Adler kämpften fortan um Platz Eins. Im November 2009 nahm sich Enke das Leben. Ein halbes Jahr später erlitt Adler einen Rippenbruch. Mit der Erfahrung von drei Halbzeiten in der A-Mannschaft wurde Neuer Stammtorhüter für die WM 2010. Er erledigte diese Herausforderung einerseits mit Bravour, andererseits mit der Diskretion eines Novizen. Den Kopfball von Puyol im Halbfinale 2010 muss man auch nicht halten, darf man aber. So wie Iker Casillas das gegen Arjen Robben im Endspiel irgendwie hingezwirbelt hat.

Im Halbfinale gegen Italien 2012 wurde Neuer wie auch im Verein Opfer seiner Vorderleute, so zumindest die offizielle Version. Ich finde, wenigstens Balotellis Kopfball zum 1-0 hätte er wegfausten müssen, anstatt auf der Linie zu kleben. Muss er eben Badstuber umnieten. Oder Balotelli und Badstuber. Das 2-0 hätten zugegebenermaßen weder Buffon noch Adler noch Köpke noch Casillas gehalten.

Die Bundesliga bringt in jeder Saison mindestens einen überdurchschnittlichen jungen Torhüter hervor: Ron-Robert Zieler, Marc-André ter Stegen, Bernd Leno. Mittlerweile herrscht, anders als im Mai 2010 kein Mangel. All diese Torhüter zerreißen sich auf dem Platz für ihre Mannschaft, auch wenn sie in der nächsten Woche vielleicht ihren Vertrag brechen. Neuer wirkt immer so, als spielte er für sich allein. Ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn er weiter patzt, Adler weiter punktet und der wieder genesene und bei Schalke gut gestartete Hildebrand die internationale Bühne nutzen kann. Das Leistungsprinzip sollte beim DFB nicht nur dann angerufen werden, wenn es darum geht, verdiente Spieler abzuschieben. Wie wäre es mit einem ergebnisoffenen Wettbewerb zwischen Torwart 1a und Torwart 1b? Das hat doch 2006 sehr gut funktioniert.

Vielleicht hat ja Matthias Sammer ein Einsehen mit Neuer und verkauft ihn und Mario Gomez gleich mit. Sammer hat die beiden 25-Millionen-Einkäufe, die ständig besser gemacht werden, als sie spielen, nicht zu verantworten. Neuer hhätte anderswo die Chance, ein ganz Großer zu werden. Oder einfach nur besser als in den letzten 17 Monaten.

Frankfurt im Steigflug

Das war am Freitag eine sehr ordentliche Leistung und zumindest kein unverdienter Sieg der Eintracht. Auch wenn Zambrano vom Platz hätte fliegen müssen und Kiyotake einen tollen Schuß an den Pfosten setzte. Die Kaltschnäuzigkeit des Aufsteigers ist bemerkenswert. Obwohl mit Schwegler und Occean zwei wichtige Spieler früh im Spiel verletzt rausmussten, kamen die Hessen immer besser ins Spiel. Hoffer hatte bei der ersten guten Chance die Nervenstärke, die Pekhart, und das Durchsetzungsvermögen, das Mak (noch) fehlen.

Ich hatte das Gefühl, dass die Möglichkeit, für eine Nacht Tabellenführer zu werden, beim Club eine gewisse Schüchternheit hervorrief. Erster? Wir? Muss das sein? Ausgerechnet heute? Vor all den Leuten? Auch ein Unentschieden wäre nicht unverdient gewesen, aber wenn eine Mannschaft ihren Lauf hat, dann hat sie auch das entsprechende Glück, damit Polters gestocherter Ball knapp vorbei und nicht reingeht.

Sieben Punkte nach diesem Startprogramm ist mehr als ordentlich für den Club, der eher ein Sturmproblem hat, als dass der Weggang Wollscheids Kopfzerbrechen machen würde. Die Mannschaft ist noch nicht eingespielt unter Wettkampfbedingungen, das konnte man an den bisweilen katastrophalen Fehlpässen vor Inius 2-0 sehen. Als es nach dem Wiederanpfiff darum ging, Frankfurt einzuschnüren, stellte sich der Club mit seinem miserablen Aufbauspiel selbst ein Bein. Blindes Spielverständnis läßt sich auch durch gute Standards nicht ersetzen. Ich verstehe nicht, warum Cohen keine Chance über drei, vier Spiele bekommt. Gegen die rustikalen Frankfurter wäre er einer gewesen, der dagegen hätte halten können. Spielerisch würde er sich in dieses Mittelfeld sehr gut einfügen. Trotz Gebhardt und Pinola ist die Mannschaft nicht giftig genug. Zu viel Barcelona und zu wenig Cottbus, etwas verkürzt ausgedrückt.

Der Tabellenzweite darf sich jetzt auf Dortmund freuen. Die jungen Lüdenscheider haben Mühe, nach der Champions League die Spannung hochzuhalten, möglicherweise ist die Kloppsche Vorwärtsverteidigung für die dauernde Doppelbelastung zu energieraubend. Gegen den HSV gab es die Niederlage wegen mangelnder Konzentration, nicht weil die Vaartianer spielerisch so stark gewesen wären. Weidenfeller wirkte geradezu wie sediert. Könnte gut sein, dass die Homegrown Hessenboys in dieser englischen Woche gegen den Meister ihren nächsten Coup landen. Blöd nur, dass das Stadion in Frankfurt ein Dach hat. Sonst könnte man jetzt prognostisch in die Runde raunen: The Sky Is The Limit.