„The Catch“ – 49ers vs. Dallas Cowboys 1982

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Auch wenn der Fußball mit Die Verwirrungen des Zöglings Draxler, Deutscher Mief in deutschen Umkleiden und Kaufrausch in Wolfsburg ein unterhaltsames Programm für die diesjährige Winterpause aufgelegt hat, bleiben wir transatlantisch unverbrüchlich noch ein bißchen beim American Football.

Heute jährt sich ein Ereignis, das prägend war für die Sportgeschichte der USA, vor allem in den achtziger und neunziger Jahren. Ich meine „The Catch“, einen der legendärsten Spielzüge in der Geschichte des American Football. Im Endspiel um die NFC-Championship, vergleichbar mit einem Halbfinale, trafen die San Francisco 49ers mit ihrem Head Coach Bill Walsh als Überraschungsteam der Saison 1981/82 auf ihre Erzrivalen, die Dallas Cowboys. The Catch am 10. Januar 1982 gehört in die Anfangsphase der Erfolgsära der San Francisco 49ers, deren Quarterback (Spielmacher) Joe Montana bis zum heutigen Tag zu den besten Spielern auf dieser Position gehört und vor allem dadurch berühmt wurde, schier aussichtslose Spiele kurz vor Schluß noch in einen Sieg zu verwandeln.

Joe Montana – The Comeback Kid, Big Sky, Joltin‘ Joe

„The Comeback Kid“ war einer seiner vielen Spitznamen, ebenso wie „Big Sky“ Montana (nach dem Motto des nahezu menschenleeren Bundesstaats), oder auch „Joltin‘ Joe“, weil er mit seinem Trickreichtum kaum auszurechnen war. Im Vergleich zu den akuellen Playoffs fällt auf, dass Montanas Spielweise auch nach modernen Standards eine ausgezeichnete und schön anzuschauende Balance zwischen seinen verschiedenen offensiven Spielzügen hatte – langer Pass, kurzer Pass, Laufspiel, Trickspielzug. Er beherrschte das ganze Repertoire, konnte ein Spiel lesen wie sonst kaum einer und besaß eine unglaubliche Nervenstärke. Tom Brady von den New England Patriots, der dieses Jahr als erster Quarterback die Chance hat, seinen fünften Super Bowl zu gewinnen (und damit Montana zu überflügeln) besitzt ebenfalls diese überragende Spielübersicht. Er spielt aber etwas kühler, intellektueller, nicht so schlitzohrig wie Montana. Die aktuellen 49ers haben gerade ihre schlimmste Saison seit Menschengedenken beendet und feuerten danach ihren Trainer. Ein neuer Bill Walsh, der mit Joe Montana seinen kongenialen Partner auf dem Feld hatte, ist leider nicht in Sicht.

Für die Cowboys läutete die Niederlage in Candlestick Park, dem alten Stadion direkt an der San Francisco Bay, den zwischenzeitlichen Niedergang nach einer großen Ära ein. Das Spiel ist im Moment in voller Länge auf YouTube zu sehen. Es war ein verrücktes, wildes, episches Spiel mit insgesamt neun Turnovers (Ballverlusten), davon sechs auf Seiten der 49ers, wobei ein Ballverlust im American Football beinahe so gravierend ist wie ein Eigentor im Fußball. Kleidung, Frisuren, TV-Ästhetik, das ist alles pure Achtziger, auch der Naturrasenacker von Candlestick ist historisch wertvoll. Aber auch nach 35 Jahren ist die Spannung, der Wettkampf zweier großer Mannschaften mit exzellenten Einzelkönnern in jeder Minute zu spüren. Weniger als eine Minute vor Schluß – in einer Minute im American Football kann so viel passieren wie in fünf Minuten im Fußball – düpierte Montana die Abwehrreihe von Dallas mit einem Pass in die Endzone auf seinen Wide Receiver (Fänger) Dwight Clark zum spielentscheidenden Touchdown. Die Cowboys mit ihrem 2,06 Meter großen Abwehrriesen Ed „Too Tall“ Jones, dem dominierenden Running Back der Saison Tony Dorsett und Erfolgscoach Tom Landry waren vom Underdog aufs Kreuz gelegt worden.

Bill Walsh am Taktikbrett

Auch noch viele Jahre danach versuchte Dallas The Catch als ungeplanten Glückstreffer kleinzureden um damit Montanas Leistung und die Größe des Spielzugs zu schmähen. In einem offiziellen Erinnerungsvideo der NFL zu The Catch kommen Dorsett, Jones und Landry ebenso zu Wort wie Clark und Montana. In einer Szene ist Bill Walsh, der Head Coach der 49ers zu sehen, wie er den Spielzug am Taktikbrett erklärt. Der Sieg über Dallas, dem der erste Gewinn des Super Bowl folgte, war kein Glückstreffer – er Präzision, Erfindungsreichtum und Schicksal. Happy Birthday to The Catch!

Guido, der Running Back

Ab dem 7. Januar beginnen die Playoffs in der National Football League (NFL), die dank ran online auch kostenlos in Deutschland zu sehen sind. Zeit, ein bißchen auf diese faszinierende Sportart zu schauen. Auf den ersten Blick ist American Football einfach. Entweder der Ball (das Ei, oder für richtig coole Säue: das Brot) wird vom Spielmacher der Offensive, dem Quarterback, auf einen Fänger wie zum Beispiel einen Wide Receiver (WR) geworfen, oder an einen Läufer, zum Beispiel einen Running Back (RB) übergeben. Der WR braucht gute Hände, damit er ein über 40 Yards geworfenes Ei/Brot magisch ansaugen und sicher fangen kann. Der RB muss Haken schlagen können wie ein Hase. Beide, Fänger und Läufer, dürfen das Ei/Brot auf keinen Fall fallen lassen, auch dann nicht, wenn sie von einem Abwehrspieler getacklet, sprich nach allen Regeln der fairen Sportskunst umgenietet werden. Eine Faustregel lautet: Wenn du den Ball berühren kannst, kannst du ihn auch fangen. Beschützt werden Quarterback, Wide Receiver und Running Back auf ihrem Weg in die gegnerische End Zone zum Touchdown von Offensivspielern, die eine lebende Wand um sie bauen, damit sie keiner umnieten kann. Pässe, vor allem lange Pässe, sind spektakulärer und für den Laien leichter zu begreifen als Laufspiele. Brot und Butter einer guten Offensive aber sind die Laufspiele. Sie sorgen für Variantenreichtum, Tiefe und Unberechenbarkeit und ermöglichen es, in einen Flow zu kommen, in den sich dann immer wieder Pässe einstreuen lassen. Während (gute) Fußballspiele ihre magische Wirkung auch daraus ziehen, dass eine Halbzeit mehr oder weniger ungebremst ihren Lauf nimmt, ist American Football Stop-and-Go. Die Spielzüge dauern meist nur wenige Sekunden, und sind ausgeklügelt bis ins letzte Detail. Im Fußball schnalzt man mit der Zunge, wenn beim Freistoß ein Spieler über den Ball steigt oder wenn ein Eckball einstudiert wird, die Rudelbildung von Wales bei den Ecken war das taktische Highlight der EM 2016.

American Football hat die Präzision eines Kammerorchesters

Im American Football ist jeder Spielzug einstudiert und alle Spieler der Offensive haben ihren Part dabei zu spielen. Man stelle sich eine Freistoßvariante vor, bei der alle Offensivspieler bis auf den Schützen choreographiert ihre Wege laufen. Das höchste der Gefühle beim Fußball ist immer noch eine gut funktionierende Viererkette, auch wenn die Offensive in den letzten Jahren wieder wichtiger geworden ist. Beim American Football gibt der Cheftrainer (Headcoach) in jeder der vielen Spielpausen einen Spielzug vor. Der Quarterback ruft einen Nummern- oder Buchstabencode und alle Offensivspieler müssen ihre Laufwege, Täuschungsmanöver und Blocks abgestimmt und in wenigen Sekunden ausführen. Erfahrene Quarterbacks, die lange mit einem Coach zusammenarbeiten, entscheiden manchmal auch selbst, welchen Spielzug sie ausrufen. Eine gute Offensive im Football arbeitet mit der Präzision eines Kammerorchesters. Der Cellist sitzt aber nicht an seinem Pult, sondern rennt zielsicher über das Feld, um mit seinen 160 Kilo einen Abwehrhünen zu neutralisieren, der auf dem Weg ist, Quarterback, Wide Receiver oder Running Back umzunieten. Improvisation in der Offensive ist im American Football die ganz große Ausnahme, was zählt ist Präzision in der Ausführung der Spielzüge und Variantenreichtum beim Einstudieren. Improvisieren muss vor allem die Defensive, die nicht weiß, welches Spiel die Offensive wählen wird. Dafür gibt es natürlich Erfahrungswerte, unendlich viele Videoanalysen und Spezialisierung auf dem Feld. Es gibt Abwehrspieler, die Jagd auf den Quarterback machen, jene, die die Wide Receiver decken – was am ehesten dem Deckungsverhalten bei einem langen Pass im Fußball entspricht – und wieder andere, die versuchen, Running Backs so umzunieten, dass sie nicht mehr rennen oder – noch besser – das Ei/Brot fallen lassen, damit es die Defensive ergattern kann. Ein Running Back muss deshalb nicht nur flink und wendig sein, er braucht auch Stehvermögen, falls ein gegnerischer Cellist angeflogen kommt.

Gudio Burgstaller denkt wie ein Running Back

Nachdem ich dank ran live NFL in den letzten Wochen mehr American Football gesehen habe als in den letzten 30 Jahren, wurde mir klar. Die große Begabung von Guido Burgstaller (neben seinem Torriecher) ist seine Art und Weise zu laufen. Er bewegt sich, er denkt wie ein Running Back. Fußballer versuchen entweder ihre Gegenspieler zu übersprinten. Oder sie umkurven ihre Gegenspieler wie Slalomstangen, ein passender Vergleich, weil Slalom- und Überläufer auf Geschwindigkeit gehen. Burgstaller geht auf die Lücke, genau wie ein guter Running Back. Er schafft es, im Dribbling durch zwei Abwehrspieler hindurch zu gehen, ohne zu foulen. Weil er so eine unglaubliche Physis aufweist, ist er oft in der Lage, den Ball nach so einer Kraftaktion auch noch an den besser postierten Mitspieler zu geben. Genau wie ein Running Back läßt er sich nicht hinfallen, jeder Inch, jeder Zentimeter zählt. Auch wenn er nicht jeden Freistoß kriegt, den er möchte, er ist ein Spieler, den man umreißen oder umtreten muss, um ihn zu stoppen. Ein Schubserchen oder Trikotzerren ist ihm egal. Burgstaller hat nicht die karnickelhafte Wendigkeit eines Götze oder Messi. Aber er bleibt im Spiel, er hält den Ball im Spiel. Mir fällt kein anderer Spieler ein, der mit dem Ball am Fuß in der Lage ist, so geradlinig durch eine Abwehrreihe hindurch zu gehen wie er. Terminator 2 aus Flüssigmetall kommt in den Sinn. Er verdribbelt sich selten, weil er keiner von den Dauerdribblern ist, die immer Vollspeed draufgehen. Er macht Trippelschritte bis er eine Lücke findet. Er verlangsamt und beschleunigt wie ein Running Back, der immerzu das Spielfeld vor sich lesen muss. Was diese Tempowechsel und die Ballsicherheit angeht, kenne ich keinen anderen Stürmer in Liga Eins und Zwei, der im das Wasser reichen könnte. Aubameyang ist der klassische Sprinter mit Ball am Fuß, Lewandowski kann ein Spiel besser lesen und stiehlt sich davon, Ibisevic ist ein klassischer One-Touch-Knipser. Aber Burgstaller ist der Ballträger par excellence, ein Running Back in rot und schwarz.

First and Ten – Superbowl 50

Bei ran konnte man in den letzten Wochen online und im Fernsehen die Playoffs der National Football League (NFL) sehen. Am 7. Februar steigt das Endspiel, der Superbowl 50.  Austragungsort ist das neue Stadion der San Francisco 49ers, die seit 2014 zuhause nicht mehr in Grumpy Old Candlestick Park spielen, sondern ein Stück weiter südlich in Santa Clara, mitten im Silicon Valley. Trotzdem heißt das Stadion nicht Yahoo oder Oracle, sondern Levi’s Stadium. Levi Strauss, der Erfinder der Goldgräberhose, kam ursprünglich aus dem fränkischen Buttenheim, zwischen Bamberg und Forchheim gelegen, nur so nebenbei. Die 49ers spielten eine miserable Saison, haben mit Chip Kelly aber einen sehr interessanten neuen Coach verpflichtet, vielleicht ein wenig mit Hans Meyer vergleichbar, sofern es einen Erdling gibt, der mit Hans Meyer vergleichbar ist. Im Endspiel stehen die Denver Broncos mit ihrem alten Schlachtroß Peyton Manning als Quarterback. Sie treffen auf die Carolina Panthers aus Charlotte, North Carolina mit dem ihrem Überflieger-Quarterback Cam Newton. Der legt so rotzfreche Laufspiele hin, dass er mich ein wenig an „Joltin‘ Joe“ Montana erinnert, der manchen als bester QB aller Zeiten gilt und ab 1981/82 mit dem Gewinn des Superbowl XVI die goldene Ära der 49ers einläutete.

Sie wissen nicht, was ein Laufspiel oder ein Quarterback ist? In diesem Fall ist die Berichterstattung auf Sat 1 rückhaltlos zu empfehlen. Die Sendungen zur NFL sind ein echter Geheimtipp. Eine gelungene Mischung aus hochkarätiger Fachsimpelei, hemmungsloser Begeisterung für diesen außergewöhnlichen Sport und hintergründigem Antifernsehen, das alles macht, außer sich selbst zu ernst zu nehmen.

Die Moderatoren zum Beispiel spielen ihr ganz persönliches Bullshit-Bingo. Eigentlich haken beim Bullshit-Bingo Fernsehzuschauer auf einem Zettel die Dauerphrasen von (Sport)moderatoren ab, sobald diese sie von sich geben. Bei ran NFL machen sich die Moderatoren selbst über ihre Phrasen lustig. Momentum zum Beispiel, eines der Schlüsselwörter in der Berichterstattung des US-Fernsehens, von dem ran die Bilder übernimmt. Es läßt sich kurz und knapp mit Eigendynamik des Spielverlaufs übersetzen.

Das Moderatorenteam bei ran besteht aus dem früheren Basketballer Frank Buschmann, Roman Motzkus, ehemals Wide Receiver bei den Berlin Adler, dem vormaligen Quarterback der Cologne Crocodiles Jan Stecker sowie Patrick Esume, der als Assistant Coach unter anderem bei den Oakland Raiders  in der NFL gearbeitet hat. Und dann gibt es noch einen gewissen Icke, der eigentlich Christoph Dommisch heißt, und vom Katzentisch aus vor einer großen Social Media Leinwand die Sendung mit dem üblichen Social Media Trash anreichert. Zum Beispiel zeigt er ein gepostetes Foto von Footballfans in Schottenröcken mit dem Hashtag #schottentragennichtsdrunter. Oder ein gepostetes Foto von Footballfans, die kleine Hüte aus gelbem (Plastik)Käse tragen, weil sie Fans der Green Bay Packers sind. Oder die tausend Smileys von Gisele Bündchen, wenn ihr Ehemann Tom Brady, Quarterback der New England Patriots, einen Touchdown-Pass geworfen hat. Oder einen Kalender, bei dem die Köpfe der fünf Moderatoren so elegant auf die Körper von NFL-Cheerleaders montiert sind, dass man sich an Windowlicker von Aphex Twin erinnert fühlt. Was man halt so zeigt, wenn es früh um halb fünf ist. Und was man natürlich auch unbedingt sehen will, wenn Quarterback Carson Palmer von den Arizona Cardinals gerade seine vierte Interception geworfen hat.

Der Umgangston ist fachlich kompetent, aber locker. Den einen Abend war „hamsti bamsti“ zu hören, eine schöne Reminiszenz an den frühen Robin Williams, als er noch Mork vom Ork war. Der Football heißt „das Brot“, man flachst sich an, springt brüllend vor Begeisterung vom Moderatorentisch auf, und ab und zu sagt einer „ohne Scheiß“. Das ganze hat den Charakter eines niveauvollen Kneipengesprächs unter Gentlemen. Keiner macht die Lieblingsmannschaft des anderen nieder, keiner will es den Zuschauern zeigen, niemand will Recht haben. Das ganze wird angereichert mit zahllosen Anglizismen. Der Quarterback wird von den Defensivspielern der gegnerischen Mannschaft gesacked, und eingesackt trifft es ganz gut, was ihm da passiert. Pässe werden overthrown, plays gecalled, geblocked wird one on one oder eins auf eins, und manch Quarterback zeigt gegen Ende des Spiels ein gutes clock management.

Für den Laien – sofern er ein Fünkchen Interesse für den Sport aufbringt – sind bei der ersten Begegnung mit (American) Football die millimitergenauen Pässe über manchmal dreißig, vierzig Meter das zunächst Faszinierende. Und Millimeter heißt hier wirklich Millimeter. Football ist um einiges präziser angelegt als Fußball. Für mich, der im Schlagballweitwurf immer eine Vier Minus hatte, grenzt es an Hexerei, wie man das Brot ohne Wobble/Flattern so weit so exakt werfen kann. Vor allem, wenn gerade vier 150-Kilo-Hünen auf den Werfer zustürmen.  Sagen wir es so: Eine erfolgreiche Footballmannschaft, egal ob Offensive oder Defensive, spielt mit der Präzision eines Symphonieorchesters, nicht nur, was Notenwerte und Tonart angeht, sondern bis in die Phrasierung hinein. Ein sehr gutes Fußballspiel ist im Vergleich dazu eine richtig geile Jam Session. Man hat sich vorher auf die Form geeinigt (Blues in F oder Summertime bzw. Viererkette, Ecke auf den kurzen Pfosten), die Details ergeben sich aus der Situation. Es gibt im Fußball mehr Freiräume, mehr Platz zum Improvisieren.  Anders als im American Football gibt es mehr Möglichkeiten, einen Fehler zu korrigieren und Eigeninitative zu entwickeln.

Die eigentliche Seele des Spiels aber sind die Laufspiele. Ein Spieler rennt mit dem Ball unter dem Arm und wird frei gesperrt oder durch gegnerische Blocks gestoppt. Diese Suche nach dem freien Raum in Sekundenbruchteilen, die einstudierte Choreographie des Laufspiels und ihre Zerstörung, das gibt dem Spiel die taktische Tiefe. Die Viererkette der Italiener bei der EM 2000 – Cannavaro, Nesta, Pessotto, Maldini – hatte eine Schönheit in ihrer Präzision, die gutem Laufen und Blocken im Football nahekommt. Aber auch nur nahekommt.

Viel besser erklären als ich kann das Patrick Esume, dessen Erläuterungen zu den einzelnen Spielzügen, taktischen Optionen, Fehlern und Geistesblitzen das Interessanteste und Beste an Sportberichterstattung ist, seit Franziska van Almsick die Schwimmwettkämpfe bei den Olympischen Spielen in London 2012 kommentierte. Esume und die Gang von ran sowie van Almsick teilen eine Gemeinsamkeit: Respekt vor dem Athleten. Nicht Respekt vor dem erfolgreichen Athleten, sondern auch vor der Tatsache, dass jeder Wettkampf Verlierer braucht, um Sieger hervorbringen zu können. Das Auftreten der deutschen Schwimmer in London war wenig erfolgreich. Aber auch wenn ihr Co-Moderator den sportlichen Wert dieser Schwimmwettkämpfe auf die Frage reduzieren wollte, warum denn die deutschen Schwimmer aus seiner Sicht so jämmerlich versagt hatten, van Almsick wich keine Sekunde von ihrer Linie ab, den Sport zu erläutern. Sie sprach über Trainingsabläufe, mentale Vorbereitung, Taktik im Rennen, über alles, aber niemals bemängelte sie fehlende Siege oder machte ihren Kolleginnen und Kollegen Vorwürfe.

Beim zweiten Halbfinalspiel der NFL (eigentlich war es die NFC Championchip, aber das würde hier zu weit führen) trafen mit den Arizona Cardinals und den Carolina Panthers die punktbesten Mannschaften der Regular Saison aufeinander. Die Panthers gewannen 50-15, Carson Palmer, der Quarterback der Cardinals, warf das Brot vier Mal zum Gegner, der beste Passfänger des Teams Larry Fitzgerald, ließ zweimal unbedrängt den Ball fallen, was ungefähr so gravierend ist wie Kahns Patzer im WM-Endspiel 2002.

Von Häme im ran-Studio keine Spur. Bis zum Schluß grübelten die Moderatoren, was den Cardinals vielleicht noch einfallen könnte, woran es liegen konnte, welche Fehler gemacht wurden, warum die Panthers so stark waren. Sie machten ihren Job, erklärten und analysierten, was da gerade passierte, immer wieder aufgelockert durch Ickes situationistische Einlagen. Es war bei allen Spielen sehr viel Respekt vorhanden für eine Mannschaft, die gerade nach allen Regeln der Kunst in ihre Einzelteile zerlegt wurde, für jeden Spieler, der durch einen individuellen Fehler zur Niederlage seiner Mannschaft beitrug.

Es ist kein Zufall, dass es Ex-Profis sind, die in diesen Situationen einen anderen Zungenschlag pflegen als die meisten Journalisten.  Und es ist auch kein Zufall, dass es Randsportarten sind, die einen anderen Umgang ermöglichen als das dauernde Warten auf den Erfolg, die Spitzenleistung, das Jahrhundertmatch. Auch wenn alle froh sind, wenn der Medaillensegen wächst, ja, auch Schwimmen ist eine Randsportart.

Am anderen Ende der Fairness-Skala findet sich der jetzt ob seines bevorstehenden Abschieds hochgelobte Marcel Reif. Mag sein, dass er mit der deutschen Sprache präziser umgeht als die meisten seiner Kollegen, zugleich ist er aber auch der Großmeister der Herablassung. Würde man Bullshit-Bingo spielen, während Marcel Reif ein Spiel moderiert, könnte man früher oder später das Wort „Klassenunterschied“ von seinem Zettel streichen. Keiner ist so schnell bei der Hand, wenn es darum geht, einer von zwei Mannschaften die sportliche Berechtigung grundsätzlich abzusprechen. Auch die von ihm gern gebrauchte Formulierung „X kann sich nur selbst schlagen“ bedeutet die vollkommene Entwertung eines der beiden Kontrahenten. Wenn sich X nur selbst schlagen kann, dann ist Y eigentlich überflüssig, dann muss man weder wissen, wie das Spiel ausgeht, noch Y Respekt dafür zollen, dass sie es an einem Tag, in einem Spiel geschafft haben, besser oder glücklicher zu sein als X. Dann ist Y ein Hochstapler, wenn es gewinnt. Denn Y hat gar nicht gewonnen, X hat sich selbst geschlagen.

Reif ist die Galionsfigur einer Sportberichterstattung, die sich (im Fernsehen) fast immer als todernstes Weihfestspiel, oftmals mit nationalem Auftrag sieht. Es gibt keinen Schnack, keine Lässigkeit, keine Albern- und Blödheiten, naürlich auch nicht bei ran und Sat 1 in seiner Fußballberichterstattung. Man will Sieger zeigen, nicht den Sport vermitteln. Die meisten Kommentatoren sind Einpeitscher, die bei jedem Spiel mit deutscher Beteiligung von der ersten Sekunde an Argumente zusammentragen, warum nur die Deutschen – egal ob Nationalelf oder Verein – dieses Spiel gewinnen werden. Wenn Per Mertesacker nach dem Achtelfinale 2014 gegen Algerien die Faxen dicke hat, wird er zum Problemfall abgestempelt. Gewinnen ist etwas Schönes, gewiss. Der Pokalsieg von Nürnberg wärmt auch nach neun Jahren noch die Seele in düsteren Zweitligazeiten. Das 7-1 gegen Brasilien waren neunzig Minuten Genialität und Schönheit. Aber der Respekt vor dem Verlierer ist so wichtig wie die Freude über den Sieg. Man kann von „seinem“ Sport nur dann so rückhaltlos begeistert sein wie die Leute bei ran NFL, wenn man die Notwendigkeit der Niederlage akzeptiert hat. Man kann das Leben nur wirklich lieben, wenn man seine Sterblichkeit akzeptiert hat.

Kickoff für den Superbowl 50 ist in der Nacht von Sonntag auf Montag um 23.15 Uhr. See you in the end zone.