Habe nun acht…

…Spieltage gesehen, und nach einem knappen Viertel der Saison ist es Zeit für eine kleine Zwischenbilanz. Teil Zwei folgt dann am Donnerstag.

Bayern München: Die Mannschaft tut alles, um die Frage offen zu lassen, ob Manuel Neuer auch in München Spiele gewinnen kann. Die Viererkette ist besser als im Vorjahr. Hätte das zweite Gegentor nach dem zweiten Neuer-Patzer in Wolfsburg gegolten, hätte Manchester City seine beiden Elfmeter bekommen, wäre nicht alles Heynckes, Freude, Eierkuchen. Meister wird die Mannschaft, die Rückstände dreht. Die Bewährungsproben kommen noch. Größte Überraschung: Kokspetze Hoeneß entdeckt plötzlich, dass es einen Rechtsstaat gibt. Wichtigste Frage: Wird Robben, wenn er weiter mault, an van Gaal ausgeliehen?

Werder Bremen: Endlich wieder Werder-Fußball, wie wir ihn schätzen. Mertesackers Weggang wurde kompensiert, Arnautovic trotz Roter Karte resozialisiert, Defensive mit Offensive austariert. Ohne lästige Demütigungen in der Champions League hat Werder in der Bundesliga noch Luft nach oben. Größte Überraschung: Fritz ist ein guter Kapitän. Wichtigste Frage: Bleibt Pizarro gesund?

Borussia Mönchengladbach: Wie schon am Ende der Saison an dieser Stelle erwartet, spielen die Gladbacher nach der erfolgreichen Relegation eine sagenhafte Saison. Mit ter Stegen haben sie den besten Torwart der Liga (Bayern-Scouts aufgepaßt). Favre hat die schlummernden Potenziale geweckt. Eberl ist  über Nacht vom Krisenmax zum Visionär gereift. Größte Überraschung: Mike Hanke ist ein Leistungsträger, schießt keine Tore und hält trotzdem die Klappe. Wichtigste Frage: Reicht es für Platz vier?

Schalke 04: Huub, Huub hurra. Rangnick hat enormen Mut bewiesen, jetzt ist es für Schalke besser gekommen, als man hoffen durfte. Stevens redet kokett von Platz zwei, aber trotz aller Verehrung der alten Helden mal ehrlich: Der Sturm mit Huntelaar und Raul ist eigentlich sogar noch ein bißchen stärker als der mit Sand und Mpenza. Größte Überraschung: Jermaine Jones ist wieder mit dabei und hat eine Frisur gefunden, die zu seinen Tattoos paßt. Wichtigste Frage: Wie bringt Stevens Fährmann in die Spur?

Hannover 96: Der Slomka-Express rollt weiter. Weniger abhängig von Ya Konnan, mit dem Schnäppchen des Jahrzehnts Pander als brandgefährlichem Überraschungsgast auf links. Wer Bremen 3-1 besiegt und dafür vom kicker die Spielnote 1,5 erhält, darf sich auf eine weitere große Saison freuen. Größte Überraschung: Kein Einbruch wegen der Europa-League, schon die Spiele gegen Sevilla waren erste Sahne. Wichtigste Frage: Wann bringt Jörg Schmadtke die Kunst des Inneren Lächelns endlich als Yoga-DVD raus?

Borussia Dortmund: Trotz des Verlusts von Sahin und der Verletzung von Barrios wirkt der Kader wieder sehr kompakt. Kleine Abnutzungserscheinungen sind vertretbar. Mit Perisic wurde wieder sehr gut eingekauft. Die Lüdenscheider brauchen noch ein wenig Anlaufzeit, dann werden sie noch weiter nach vorne kommen. Größte Überraschung: Der Punkt gegen Arsenal. Wichtigste Frage: Ob sie wenigstens ein Spiel in der Champions League gewinnen werden?

VfB Stuttgart: Das sieht jedenfalls nicht nach Horror-Hinrunde aus. Heimlich, still und leise malochen sich die Schwaben nach vorne. Und der notorische Überflieger Labbadia beweist nach der guten Rückrunde erneut Steherqualitäten. Mit den wiedergenesenen Bremern und den Schalkern mit Stevens wird ein internationaler Platz trotzdem schwer. Größte Überraschung: Boulahrouz ist in der Form seines Lebens. Wichtigste Frage: Wird Cacau fit?

1899 Hoffenheim: Stanislawskis guter Einstand zeigt, dass Provinz und Kiez im Grunde wesensverwandt sind. Eine gewisse Heimeligkeit sind beiden nicht abzusprechen. Trotz des Punktgewinns gegen Bayern an diesem Wochenende ist Hoffenheim vier Plätze zurückgefallen. Es ist eng im oberen Drittel. Größte Überraschung: Andi Beck hat seinen Vertrag verlängert. Wichtigste Frage: Wen wird Dietmar Hopp in dieser Winterpause heimlich verkaufen?

Bayer Leverkusen: Anders als die Schönspieler von der Säbener Straße hat Leverkusen die ersten Rückschläge (Pokal, CL, Schönspieler von der Säbener Straße) bereits verdaut. Dutt erweist sich als ebenso lernwillig und teamfähig wie Ballack. Dass Rangnick in der Lage war, offen über seine Schwäche zu reden und das Handtuch vor dem totalen Zusammenbruch schmeißen, verdankt die Liga wie so vieles andere übrigens Ballack. Er hat es geschafft, ein Weltklassespieler zu sein, und dabei dem Scheitern nicht auszuweichen. Größte Überraschung: Die Entschlossenheit, sich nach oben durchzukämpfen. Wichtigste Frage: Ballack wird seine Kritiker eines Besseren belehren. Aber wie?

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Der Osten rockt

Rostock aufgestiegen, Chemnitz aufgestiegen, Aue fast aufgestiegen, Cottbus fast aufgestiegen (und im Pokal-Halbfinale), Erfurt fast aufgestiegen, Union nicht abgestiegen, Babelsberg sportlich nicht abgestiegen, Neuling Rasenball Leipzig auf Platz vier in der Regionalliga, Magdeburg dortselbst nicht abgestiegen und das Sahnehäubchen gab’s am Dienstag, als Dynamo Dresden in Osnabrück erst in die Verlängerung und dann in die Zweite Liga stürmte. Schahin schießt schwarz-gelb ins Glück, und das ist kein Schreibfehler. Das zweite Spiel gegen Osnabrück war richtig geil. Ein KO-Spiel, wie es sein soll, bis auf die Brandsätze auf der Tribüne. Kein einziger Ostverein aus den Ligen zwei bis vier ist abgestiegen.

Bin sehr gespannt, wie das weitergeht. Man darf die Freiburger, Hannoveraner, Nürnberger und Dortmunder für ihren Spar- und Jugendstil gerne loben, aber heimlich still und leise haben die in den neunziger Jahren auch durch eigene Unbedarftheit so arg gebeutelten Vereine aus dem Beitrittsgebiet eine Menge dazu gelernt. In Dresden sind Calmund und Kirsten mit vollem Herzen dabei, in Rostock hat Beinlich binnen eines Jahres Perspektiven entwickelt und Hansa kann wieder aus seiner hervorragenden Jugendarbeit schöpfen. Union hat sich wieder einmal durchgebissen und will/wird sich gezielt weiterentwickeln. Alle drei Vereine haben neue Stadien. Mittlerweile gibt es in Liga Zwei fünf Ostvereine, alle haben das Zeug zum Aufstieg, Hansa oder Dynamo traue ich auch einen Durchmarsch zu. Chosebuz und die anderen treffen auf die großen Namen längst vergangener Zeit, die Münchner Löwen, die Fortuna aus Düsseldorf, den Frankfurter Adler, die Fürther, Eintracht Braunschweig, den Meidericher SV und naürlich St. Pauli. Zugegeben, es wird einige heikle Spiele mehr in der Zweiten Liga geben, aber die Fans werden nicht so blöd sein, mit dem Arsch einzureißen, was sie mit ihren schönen Gesängen erreicht haben. Fortsetzung folgt.

PS: Ich bin so froh, dass Favre und die Gladbacher das noch gewuppt haben. Möge der Kelch Effenberg an den Borussen und allen anderen Mannschaften des deutschen Profifußballs vorüber gehen. Vielleicht kann der Papiertiger ja zusammen mit Lothar Matthäus Tonga auf einen zweistelligen Platz in der FIFA-Weltrangliste hieven, es wäre eine „reizvolle Aufgabe“ und eine „große Herausforderung“. Gladbachs nächste Saison wird so werden wie die abgelaufene beim Club. Passenden Trainer gefunden (Favre/Hecking), Relegation gewonnen (Bochum/Augsburg), wichtigsten Spieler gehalten (Reus/Pinola) und ab geht die Luzie.

Saisonrückblick: Die Nachlese zum Nachlesen

Bayern ist ein verdienter und würdiger Meister. Van Gaal holte Rensing aus dem Tor und machte auch danach fast alles richtig. Nebenbei bemerkt eine ähnliche Situation wie bei Klewer und Blazek bei Nürnberg nach dem Pokalgewinn. Damals überging Meyer die heimliche Nummer Eins Klewer und die Mannschaft fand nicht zusammen. Rensing durfte spielen, er patzte, er wurde abgelöst, und Butt konnte ohne Dauerkritiker allmählich zu einem sicheren Rückhalt werden.

Schalke ist wieder da. Spielerisch kann man noch einiges verbessern, 53 Tore sind schon ziemlich mager, 3-3 gegen Hamburg, 3-1 gegen Gladbach, 3-0 gegen Bochum und 4-1 in Frankfurt, sonst nie mehr als zwei Tore, davon sechsmal ohne eigenes Tor. Aber sie haben die CL ohne Pander und Jones erreicht, und ohne ein einziges Mal darüber zu jammern. Aber in Bremen wurde Magath ja auch nicht gleich Meister.

Bremen zeigt dem HSV wie man kaufmännisches Geschick mit sportlichem Erfolg verbindet. Am meisten erstaunt hat mich am Ende der couragierte Fritz. Man konnte sehen, warum er einst Nationalspieler war. Und natürlich spielten sie phasenweise wieder am schönsten. Hoffen wir, dass Özil seine Sinnkrise endgültig abgeschlossen hat, im Pokal-Finale brilliert und bei der WM konstant spielt. Einen wie ihn könnten die Schalker übrigens gut brauchen, Magath hätte ihn wohl für unverkäuflich erklärt.

Bayer Leverkusen verabschiedet heute Abend den genialen Bernd Schneider. Er ist einer von hundert Gründen, warum das Gerede von der Retortenmannschaft endlich verschwunden ist. Wie bei Schalke wurde auch hier erfolgreich ein Stabilisierungsprozess eingeleitet. Ich sage jetzt nicht, dass Bayer demnächt Meister wird, aber diese Mannschaft hat noch gewaltig Luft nach oben – und einen Trainer, der zu ihr paßt.

Borussia Dortmund, auch die ein echter Aufsteiger. Klopps Vertrauen in die Jugend zahlt sich aus. Zorc hatte einen Lauf bei seinen Transfers, an erster Stelle Barrios. Wenn Kehl noch einmal ganz gesund wird, kann es auch für mehr reichen. Schade, dass der Defensivstratege nie mehr richtig wieder auf die Beine gekommen ist.

Der VfB Stuttgart im Jahr eins nach Gomez kann zufrieden sein. Sie hätten auch unter Gross nicht zwei solche Halbserien gespielt, niemand macht das, Leverkusen, die Ungeschlagenen lange Zeit, auch nicht. Aber auch hier frage ich mich, ob das schon das Ende der Fahnenstange ist. Der VfB produziert reihenweise Nachwuchstalente, Gross ist ein umsichtiger Mann und Heldt hat in seinen jungen Jahren schon viel erreicht als Manager. Neben Stuttgart sehe ich oben auch Schalke und Leverkusen als die Mannschaften, die ihr Potenzial optimal ausschöpften, Bremen blieb dahinter zurück, Bayern und Dortmund spielten über dem Limit.

Der HSV ist neben den Absteigern sicherlich der größte Verlierer der Saison. Im kicker habe ich im Abschiedstext zu Bernd Schneider gerade gelesen, dass Labbadia ihn letztes Jahr im Pokalfinale neunzig Minuten hat schmoren lassen. Das ist extrem instinktlos und ein weiteres Indiz dafür, dass dem großen Motivator Labbadia ein Sinn für Spielerseelen fehlt, den selbst Leute wie Weisweiler, Happel und Magath haben/hatten, die nicht unbedingt Kumpeltypen sind/waren. Die Meisterschaft war illusorisch, aber wie Europa League und Pokal abgeschenkt wurden, war schon extrem arm. Daran konnte auch Ausnahmespieler van Niestelrooy nichts ändern.

Wolfsburg hat die Meisterschaft erstaunlich gut verkraftet. Was auch an der mutigen Entscheidung lag, Köstner zum Chef zu machen. Es war kein Glanz auf dieser Saison, Dzeko war zu sehr Einzelkämpfer. Dadurch dass mit Leverkusen, Schalke und Dortmund gleich drei Hinterbänkler durchstarteten, war Europa zu weit weg.

Mainz hat eine überragende Saison gespielt. Van Gaal hin, Magath her, Thomas Tuchel ist Trainer der Jahres. Als Neuling mit einem Aufsteiger taktisch so ausgefuchst zu agieren, Favoriten zu Hause reihenweise aufs Kreuz zu legen und dann noch ahnsehnlichen Fußball mit Herz und Hirn zu spielen, ist sensationell. Eine echte Bereicherung, alles andere als ein niedlicher Exot, dieser Karnevalsverein.

Eintracht Frankfurt unter Skibbe hat sich ebenfalls erstaunlich entwickelt. Rein punktemäßig war es nicht viel besser als in den letzten Jahren, aber es sieht schon anders aus. Besonders gefallen hat mir Köhler, solche Haken hat in der Liga zuletzt Mehmet Scholl geschlagen. Ohne Verletztenseuche könnten es demnächst sogar 47 Punkte oder mehr werden.

Das zweite Jahr ist für einen Aufsteiger immer das Schwerste, so auch für Hoffenheim. Allerdings kämpfte die TSG von Anfang an gegen die irrsinnigen Erwartungen. Ibisevic erzielte nach seinem Kreuzbandriß 12 Tore und wird jetzt mehr oder weniger als Versager abgestempelt. In der Hinrunde war Hoffenheim Siebter. Ich hoffe, Rangnick kriegt die Kurve und kann in Ruhe weiterarbeiten.

Gladbach, noch ein Gewinner der Saison. Endlich ein Trainer, der paßt, endlich spielen sie ab und zu wenigstens schönen Fußball. Eine No-Name-Truppe hat einem großen Verein eine Menge Anerkennung zurück gebracht. Und Dante hat bei mir schon wegen seiner Frisur einen Stein im Brett. Schade, dass Neuville so wenig spielen konnte. Löw würde sagen: In unserem Frisurenprofil ergänzt er sich nicht optimal mit Dante.

Köln im ersten Jahr nach Daum und im ersten Jahr mit Podolski durchwachsen, also im Rahmen seiner Möglichkeiten. Auch hier eine Riesenkluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Köln ist immer noch eine potenzielle Fahrstuhlmannschaft, es wird noch ein Weilchen dauern, bis der ambitonierte Präsident Overath zufrieden ist. Dass Soldo ein Jahr Klüngel überstanden hat, ohne geistig Schaden zu nehmen, spricht für ihn.

Freiburg behält die Nerven, behält den Trainer und hält die Liga. Für keinen waren die Fußstapfen des Vorgängers so groß wie für Robin Dutt, er hat die Herausforderung bestanden. Dieses Freiburger Team ist noch keine Kultmannschaft wie das große Team mit Cardoso, Heinrich, Schmadtke, noch keine Breisgau-Brasilianer. Sie werden immer gegen den Abstieg spielen, und ab und zu einen Etablierten hinter sich lassen.

Hannover: Ende gut, aber nicht alles gut. Der Tod von Robert Enke bleibt die große Katatrophe dieser Spielzeit. Rechtzeitig kehrten Kampfgeist und Spielfreude zurück, es freut mich, dass 96 der Gang in die Zweite Liga erspart bleibt. Auch für Slomka, der auf Schalke unter Wert verabschiedet wurde. Wenn Hanke so weiter trifft, waren die letzten beiden Spiele der Auftakt zu einer wunderbaren neuen Saison.

Der Club macht es wieder einmal spannend. Sollte die Relegation erfolgreich sein, könnte man das sportliche Modell perfektionieren. 10 Leihspieler, 10 Juniorennationalspieler, Schäfer, Wolf, Pinola, fertig ist der Klassenerhalt. Bader hat gezockt und bis jetzt noch nicht verloren, aber nächstes Jahr bitteschön vielleicht noch ein paar mehr Spieler jenseits der 25 mit mehrjährigen Verträgen. Und eine faire Chance für Mintal.

Auf Wiedersehen, VfL Bochum. Selbst die vier Trainer, selbst das 1-0 in Nürnberg hat nicht gereicht. Wer im Endspiel zu Hause so auftritt, der muss sich mindestens ein Jahr lang im Stahlbad Zweite Liga regenerieren. Vielleicht hätte man Koller nicht feuern sollen, was hilft es dem gemeinen Fan, dass Wosz Kult ist und die letzten beiden Spiele so ausgehen.

Last and least – der Problembär aus Berlin. Nicht Hoeneß, sondern Gegenbauer ist der Verantwortliche für das Desaster. Und angesichts der Tatsache, dass es keinerlei Opposition gegen ihn gibt, ist auch in Liga Zwei wenig Gutes zu erwarten. Es war klar, dass nach der Überfliegersaison ein Krisenjahr kommt. Und anstatt den erfahrenen Krisenmanager Hoeneß in Würde zu verabschieden, legt man das Schicksal in die Hände eines Trainers, der das Team gerade mal zwei Jahre betreut hatte. Und der arme Preetz – sympathisch, unerfahren, überfordert – wußte nicht, wie ihm geschieht.