Dutt-Basher, wir hören nichts

Daniel Theweleit widmet sich in epischer Breite der Körpersprache von Uli Hoeneß, Peter Ahrens hat schon länger keine Breitseiten gegen Leverkusen mehr losgelassen. Kein Wunder, die Mannschaft von Trainer Robin Dutt steht in der Rückrundentabelle auf Platz Drei. Wenigstens der kicker benennt den Hauptverantwortlichen für den ersten Sieg gegen Bayern seit 2004 und lobt Trainer Robin Dutt für seine taktischen Feinjustierungen. Spielintelligent war Bayer schon in manch einer Saison zuvor, Trainer Robin Dutt hat es geschafft, dem Team die Leidenschaft für den entscheidenden letzten Schritt einzuimpfen, und er schöpft aus dem Fundus seiner polyvalenten Hochbegabten. Das Bohei um den Trainer, der nicht everybody’s Mediendarling sein will und der tragische Fall von Michael Ballack hat die Spieler zu einer verschworenen Mannschaft gemacht, die es mit scheinbar übermächtigen Gegnern aufnehmen kann. Drei Beispiele dafür.

Beim 1-0 holte Derdiyok einen schier aussichtlosen Ball zurück ins Spiel und Kießling stand da, wo ein Torjäger stehen muss. Dass Kießling das spielentscheidende Tor macht, war nach seinem grimmig-sachlichen Interview im kicker am Donnerstag und den Leistungen der letzten Wochen keine Überraschung für mich. Er hat wieder die Fitness, die er genau wie Rooney oder Asamoah für sein körperbetontes, laufintensives Spiel braucht. Und sein Torriecher war nie weg, er war nur verschnupft.

Leno entschärfte wieder einmal zwei unhaltbare Bälle und ist mit 2,70 nicht nur notenbester Torwart der Liga, sondern auch ein spielender Rückhalt seiner Mannschaft. Bayerns Krise ist auch eine Neuer-Krise. Der dümpelt mit 3,02 auf Platz 14 bei den Torhütern und hat den Bayern neun Punkte gegen direkte Konkurrenten um die Champions-League-Qualifikation gekostet. Ich habe mich gewundert, dass er in der kicker-Rangliste im Dezember 2011 unangefochten auf Platz Eins war, aber wahrscheinlich will man eine Neuer-Debatte vermeiden, um die EM-Chancen nicht zu gefährden. Neuer profitiert in seinem Leistungsloch davon, dass es anders als zu Zeiten von Kahn/Lehmann und Illgner/Köpke im Moment keinen echten Konkurrenten gibt, stattdessen so viele gute junge Torhüter wie noch nie mit zu wenig Spielerfahrung. Robert Enke ist tot, René Adler ist seit 2010 dauerverletzt.  Neuer ist zweifellos hochbegabt, aber er wirkt, selbst wenn er keine spielentscheidenden Fehler macht, an seinem jetzigen Arbeitsplatz immer wie Kevin allein zu Haus und ist offensichtlich im falschen Verein. Sogar der anonyme Bayern-Apologet von Lizas Welt erinnert sich im Moment lieber an Jean-Marie Pfaff. Lang ist’s her.

Im Spiel der beiden Rekordvizemeister warf sich ferner der ansonsten äußerst mäßig spielende Friedrich in die 1000prozentige Tormöglichkeit von Chancentod Gomez wie einst Kohler bei Lüdenscheid gegen Manchester United in der Champions League und bewahrte seine Mannschaft so vor einem Rückstand kurz vor der Pause. Apropos Champions League. Die Sache am Mittwoch wird kein Selbstläufer für Barcelona. Leverkusen hat schon manch einen Rückstand gedreht in dieser Saison. Dass alle Welt die Mannschaft abgeschrieben hat, kennt Trainer Robin Dutt zur Genüge und wird dieses Phänomen zu nutzen wissen.

Ein Torwarteproblem

Zu viele der Guten, und keiner dabei, der eindeutig Ansprüche erheben könnte. Seit 35 Jahren eine beinahe organische Erbfolge: Auf Maier folgte Schumacher, auf Schumacher folgte Illgner, auf Illgner kam Köpke, nach Köpke folgte  Kahn, nach Kahn gab es Lehmann. Klingt das irgendwie bekannt? Es gab kleinere Reibereien, Eike Immel und Uli Stein wurden ausgebootet, Köpke hätte rein nach Leistung schon 1992 die Nummer Eins werden müssen, Lehmann statt Kahn war eine (richtige) Entscheidung mit viel Zündstoff . Aber wenn es Streit gab, dann zwischen zwei Torhütern und nicht zwischen sechsen: Enke, Neuer, Wiese, Adler, Hildebrand und Rensing. Also wer ist vorne?

Hildebrand sicher nicht, ich sehe ihn im Moment nicht als Nationaltorhüter, nur weil er besser ist als Haas. Ich denke, es kann Hoffenheim ganz gut tun in der Rückrunde, nicht immer mindestens drei Tore schießen zu müssen, um sicher zu gewinnen. Und Hildebrand ist Meister geworden, das ist eine große psychologische Hilfe für die Neulinge, gerade zum Schluß hin.

International am erfahrensten ist merkwürdigerweise Dauer CL-Vorrundenteilnehmer Wiese, obwohl er so etwas jungenhaftes hat(te). Er ist besser geworden im Herauslaufen, auch im Umgehen kitzliger Fragen nach seinen Ansprüchen. Wenn Bremen es mal – wegen Wiese – bis in ein CL-Halbfinale schaffen würde, wäre er ganz vorne dran. So wird es schwierig.

Enke ist von seiner Persönlichkeit her derjenige, der eine Abwehr am besten dirigieren kann. Er ist in einer ähnlich undankbaren Situation wie Köpke bei Nürnberg. Weltklasseleistungen hinter einer desolaten Abwehr zählen merkwürdigerweise weniger als Topleistungen mit einer guten Viererkette. Hätte er sich nicht verletzt, wäre Enke jetzt der erste Anwärter auf die Nummer Eins. Ihn gegen Norwegen nach nur zwei Pflichtspielen Wettkampfpraxis nicht zu berufen, ist keine Grundsatzentscheidung. Enke bei Bremen wäre ein ganz heißer Kandidat für die Nummer eins bei Herrn Löw, aber die Fischköppe sind ja tatsächlich völlig vernarrt in Wiese.

Rensing hat den schlechtesten Notenschnitt aller Bundesligatorhüter in der Hinrunde, dafür mit Hoeneß, Beckenbauer, Kahn und Klinsmann gleich vier prominente Fürsprecher und die große Bühne Champions League. Würde mich interessieren, wen der eminent kluge Mehmet Scholl präferiert. Sicherlich nicht Rensing, oder? Dafür, dass er im Jahr eins nach Kahn spielt, schlägt Rensing sich beachtlich. Er hat allerdings nicht die Begabung von Neuer und Adler. Wie der große alte Mann der Torwarttrainerzunft Friedrich Rückert dereinst anmerkte: Was man nicht erfliegen kann, muss man sich erhinken. Soll heißen, wenn Rensing so schuftet wie Kahn, und wenn Wiese, Enke, Neuer und Adler patzen, kann er es schaffen. Ein Modell, das viele große Karrieren ermöglicht hat.

Adler ist auf der Linie der Beste, der Einzige, der an Kahn und Köpke rankommt bei den Reflexen. Aber er hat seine Chance nach Enkes Verletzung nicht wirklich genutzt – Rußland hui, England pfui – und ist im Moment immer für einen Klops gut. Außerdem hat er fast keine internationale Erfahrung mit dem Verein. Möglicherweise bliebe das mit Leverkusen auch so, wenn die ihre Rückrundenkrise so richtig ausleben. Dann wiederum wäre Adler ein Kandidat bei Bayern und dann…

Neuer hat seine Krise schon gehabt, und obwohl er mit Fährmann sehr starke Konkurrenz hatte und auf Schalke gerade alles im Dreieck flippt, ist er Notenzweiter hinter Eilhoff, der auch ein Kandidat für Bremen wäre. Neuer ist der Stärkste von allen in der Spieleröffnung, weshalb er sich auf Dauer auch durchsetzen wird, gelegentliche „Flutschfinger“ hin oder her. Er hat in der CL ein, zwei wirklich gute Spiele gemacht, Spiele gewonnen, wie man so sagt. Das gegen Porto bleibt im Gedächtnis. Das Spiel von hinten raus war 2006 das entscheidende sachliche Argument für Lehmann und gegen Kahn, abgesehen von persönlichen Animositäten aller Art. Neuer entwickelt diese Richtung weiter (ist ja auch Lehmann-Fan). Wenn Löw so spielen lassen will wie in der ersten Halbzeit gegen Rußland, ist ein Torwart, der 70-Meter Abschläge/würfe genau in die Gasse spielen kann, erste Wahl.

Das mit Pander hinten links war Galgenhumor, Lahm ist absolut konkurrenzlos. Bayern hin oder her, er ist ein toller Fußballer. Aber Höwedes innen halte ich für eine realistische Option bis 2010. Und ein gesunder Pander dann vielleicht links im offensiven Mittelfeld.