Auf Wolke Acht

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In den letzten vier Spielen der abgelaufenen Zweitligasaison hat der 1. FCN sich selbst übertroffen und in einem mitreißenden Endspurt den hochverdienten Aufstieg geschafft. Gegen Braunschweig war ich im Max-Morlock-Stadion. Vermutlich habe ich die letzte Karte überhaupt im Stadion ergattert, in Block 28 direkt neben dem Gästeblock. Die Braunschweiger Fans gewannen mein Herz, als sie in der zweiten Halbzeit Bella Ciao sangen, die Braunschweiger Stürmer senkten meine Herzfrequenz, als sie sich notorisch ungefährlich zeigten. Es war herrlich, wieder einmal ein ausverkauftes Heimspiel zu erleben. Die Legende lebt, das in den letzten Jahren bisweilen auch leise Verzweiflung hervorrief, weil zwischen den auf den Videowänden eingespielten Glücksmomenten der Vereinsgeschichte und dem Realzustand so riesige Abgründe klafften, wurde vom ganzen Stadion gesungen.

Hanno, der Knipser

Der „Thrilla bei die Kieler“ war von den drei Aufstiegsspielen am spannendsten. Wieder einmal zeigte Hanno Behrens, dass er der torgefährlichste deutsche Mittelfeldspieler seit Michael Ballack ist. Für den Kopfball beim 3-1 im Kiel musst du das Spiel lesen wie ein Stürmer, laufen wie ein Stürmer, handeln wie ein Stürmer. Ein sagenhaftes Tor. Ähnliches gilt für das 1-0 in Sandhausen. Ich habe mir kürzlich die 16 WM-Tore von Miroslav Klose angesehen, von denen er mehr als zehn mit dem Kopf erzielt hat. Behrens besitzt ähnliche Handlungsschnelligkeit und Instinkt. In der Bar 11 in der Wiener Straße nahm die Saison gegen den 1. FC Kaiserslautern ihren tollen Anfang, gegen Sandhausen haben wir dort den Aufstieg besiegelt und besungen. Die Spiele gegen Kiel und Sandhausen sah ich im Kreise der Clubberer aus der Bar 11 in der Wiener Straße. Als Fortuna Düsseldorf an die Reihe kam, war ich auf einer Geburtstagsparty in einem sozialen Umfeld, in dem Fußball eher randständig wahrgenommen wird. Fortuna holte verdient die Felge. Eine Niederlage in der Nachspielzeit nach 2-0-Führung, das war sorgfältige und durchdachte Arbeit der Clubberer am eigenen Mythos, die notwendige Prise Traditionsbewusstsein, damit nicht alle überschnappen.

Keiner schnappt über

Aber interessanterweise schnappt ja keiner über. Natürlich haben die Fans auch „Arrubbabogaal“ gesungen, aber nicht als Forderung, sondern als Zeichen dafür, dass die Mannschaft fast so viel Freude macht wie die von 2007. Der Club hat gegen die konstanteste Mannschaft der Zweiten Liga knapp und spät verloren, und gegen Wolfsburg, das drittschlechteste Team der Bundesliga im Pokal eine Verlängerung erzwungen. Wahrscheinlich hätte der Club in der Form der letzten Spiele Wolfsburg rausgekegelt und gegen Düsseldorf gewonnen, wenn sie es gemusst hätten. Aber so oder so: Auch auf Wolke Acht ist noch viel Luft nach oben, der Club muss und wird noch viel besser werden. Die Schlüsselfigur ist natürlich Michael Köllner. Im Rahmen der Aufstiegsfeier hat er freundlich, aber bestimmt noch einmal klar gemacht, dass es ihm nicht gefällt, wenn seine hervorragende Arbeit von Kleingeistern kaputt geredet wird. Keiner hat ihm das zugetraut, einige hielten ihn von vornherein für zu schlecht, obwohl er dem FCN nach dem Desaster mit Alois Schwartz die letzte Saison noch gerettet hat. Ich wünsche mir, dass der Club mit Köllner die nächsten großen Schritte geht, freue mich auf viele Fußballfeste in der Bundesliga und drücke Kiel und Aue die Daumen für die Relegation.

Köllner und der 1. FCN verteidigen Platz 2

Von der Tennisspielerin Martina Navratilova stammt folgendes Zitat: „Um eine große Sportlerin zu sein, kommt es nicht darauf an wie gut du bist, wenn du gut bist, sondern wie gut du bist, wenn du schlecht bist.“ Wenn man der Frau, die neunmal Wimbledon gewann, Glauben schenken darf, entwickelt sich beim 1. FC Nürnberg gerade eine große Mannschaft unter einem großen Trainer. Der Club hängt in den Seilen, seit Wochen schon. Was phasenweise spielerisch leicht gelang – Pässe in die Schnittstelle, Chancenverwertung, Raumaufteilung – muss er im Moment jedem Gegner und sich selbst 90 Minuten lang abtrotzen. Und trotzdem steht er auf Platz 2.

Es liegt nicht nur an der Verletzung von Mikael Ishak. Die gegnerischen Mannschaften spielen aggressiver als in der Hinrunde, weshalb Hanno Behrens nicht mehr so offensiv von hinten anschieben kann wie noch vor einigen Monaten. Es ist lange her, dass der Club einen Mittelfeldspieler mit so einer physischen Präsenz hatte. Er fehlt im letzten Drittel. Edgar Salli (25) wird immer spielintelligenter, war im Pokal gegen Wolfsburg defensiv überragend, aber er ist kein Knipser. Adam Zrelak (23) hat man keinen Gefallen getan, als man ihn mit Marek Mintal verglich. Er ist kein Phantom aus der Tiefe oder aus dem Nichts, sondern ein klassischer Brecher, der viele Szenen am und im Strafraum braucht. Ein Markus Schroth könnte er werden, ein Wandspieler. Federico Palacios (22) fehlt noch die Feinabstimmung für seine bisweilen genialen Ideen. Fabian Bredlow (23), der im Tor manchen Punkt festhielt, hatte zuletzt einige Wackler. Eine Mannschaft im Aufbau. Vielleicht wäre es besser, Tobias Werner (32) von Anfang an zu bringen. Er ist einer der wenigen offensiven Neuzugänge mit Erfahrung, macht Bälle fest und gibt dem Spiel mehr Struktur.

Manchen ist die Zweite Liga zu spannend

Wer ernsthaft geglaubt hat, dass der Club in dieser Zweiten Liga zum Durchmarsch ansetzt, bloß weil er im Februar dreimal Tabellenführer war, der hat nicht verstanden wie eng es in Liga Zwei zugeht. Er hat vor allem auch nicht verstanden, was für eine hervorragende Entwicklung der Club in dieser Saison genommen hat. Man lese die Aufsteigerprognosen vom August 2017 noch einmal nach – der Club kommt da nicht vor. Union, Ingolstadt, Darmstadt, alle liegen sie weit hinter dem 1. FCN. Und auch in dieser Durststrecke hat er seinen Vorsprung auf den ärgsten Verfolger Kiel verteidigt und auf Platz vier in all den Wochen nur einen Punkt verloren. Sieben statt acht Punkte sind es jetzt. Ein Three-Score-Game würden sie bei ranNFL sagen. Der kicker nennt das Schneckenrennen um den Aufstieg, während in der Bundesliga die große Langeweile beklagt wird. 17 Punkte Vorsprung sind zu viel, zwei sind zu wenig. Wie hätten sie’s denn gern? Es ist zum Glück nicht jedes Jahr so, dass ein Überflieger wie RB Leipzig die sportlichen Entwicklungsschritte im Zeitraffer durchläuft oder ein Absteiger aus eigener Blödheit wie der VfB Stuttgart neofeudal ausgestattet zum Wiederaufstieg antreten darf. Wer hier von Schneckenrennen redet, macht Vereine wie Bielefeld, Sandhausen und Regensburg schlecht, die mit geringsten Mitteln mehr sind als Punktelieferanten für die Teams auf Platz 1 bis 3. Es ist spannend und eng – um so besser.

Die Darbietung von Nürnberg gegen die Leute aus Vach war fahrig und einfallslos, und die Niederlage nach dem wirklich schönen Tor von Narey verdient. In den anderen vier Spielen war der Club mindestens ebenbürtig und hat zweimal einen Rückstand aufgeholt. Im Boxen nennt man das Nehmerqualitäten. Düsseldorf hat am Montag Abend verloren. Die Leute, die sich am Köllner-Bashing erfreuen, jetzt, da das Bader-Bashing seinen Reiz verloren hat, lasten dem Trainer die vermeintliche Stagnation an. Zum Glück lässt sich die sportliche Leitung durch die mantraartig wiederholten Bedenken nicht beirren. Mitten in der „Krise“ hat Tim Leibold seinen Vertrag verlängert. Die zweite Halbzeit gegen Darmstadt und das Spiel in Dresden zeigen, dass der Club gerade wieder dabei ist, sich die alte Sicherheit zurückzuholen. Und irgendwann trifft auch Patrick Erras nach Ecke wieder. Kein Grund zur Panik. So gut war der Club schon lange nicht mehr, als er schlecht war.

Die 3000 von der Tankstelle

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Am Freitag war ich in der Alten Försterei und habe dort das 1-0 des 1. FCN gegen Union Berlin gesehen. Ich saß direkt hinter der Nürnberger Bank, so nah dran, ich konnte sehen, dass sich Andreas Bornemann die Haare färbt. Was nicht viele wissen: Bornemann ist Erster Vorsitzender des Frank-Walter-Steinmeier-Fanclubs Nürnberg-Doos. Und die Weiterentwicklung der modernen Haarpflege macht es möglich, dass die Menschen in unserem Land ihrem Idol in Schloss Bellevue nacheifern können. So viele sind es, dass Frank-Walter Steinmeier bei einem Frank-Walter-Steinmeier-Ähnlichkeitswettbewerb vor ein paar Jahren nur Dritter wurde.

Köllner – der Sozialkundelehrer, den ich nie hatte

Michael Köllner sieht aus wie der Sozialkundelehrer, den ich nie hatte. Drahtig und konzentriert coachte er engagiert und unaufdringlich, verbesserte die sowieso schon recht gut stehende Defensive beim Club unablässig und freute sich beim Schlusspfiff wie das gesamte Funktionsteam über den Krimi mit Happy End. Rechts von mir auf der Stehtribüne sangen 3000 siegestrunkene Clubfans von einem gewissen „Aufstieg“, was immer dieses Wort auch bedeuten mag. Zumindest minutenweise war es ihnen gelungen, den Union-Fans akustisch den Schneid abzukaufen. Manchmal war es ziemlich still auf der Waldseite, da kontrollierte die Tankstellenseite die Stimmung, und die Mannschaft au der Noris Ball und Gegner.

Es gab trotzdem ein paar gute Chancen für Union, die beste entschärfte Fabian Bredlow mit einem Jab, der Muhammad Ali würdig war. Der Club hatte ein paar fahrig zu Ende gespielte Konter, was sich diesmal 83 Minuten lang nicht rächen sollte, vor allem aber bot er aufopferungsvolle und intensive Verteidigungsarbeit. Der erste Verteidiger war Mikael Ishak, der sich zwischen den Abwehrbolzen der Eisernen aufrieb und dem bei der einen oder anderen Offensivaktion die letzte Spritzigkeit fehlte. Federico Palacios ist ein echter Gewinn. Er hatte ein paar Missverständnisse mit Mitspielern, aber er kann Bälle halten und verteilen und ist spielintelligent. Genau wie Patrick Erras, der zwar ein paar miserable Pässe spielte, aber viele wichtige Kopfballduelle gewann und das Spiel lesen kann wie sonst niemand beim Club. In der zweiten Halbzeit gab es viele Zweikämpfe an meiner Außenbahn, aber trotz der drei Roten Karten war es ein vollkommen faires Spiel. Die erste Gelbe Karte gab es in Minute 71. Hier zu Null zu gewinnen ist eine echter Schritt nach vorne, zumal an diesem Wochenende alle bis auf Düsseldorf für den Club spielten.

Es ist ein Ehre, in der Alten Försterei Gast sein zu dürfen

Ein Spiel in der Alten Försterei ist ein sagenhaftes Erlebnis. Einmal im Leben sollte man da gewesen sein. Man kann ahnen oder sich erinnern, was für ein schöner Sport Fußball einmal war, bevor er in die Fänge des Privatfernsehens geriet. Die Leute sind freundlich, tiefenentspannt, sachkundig und in der Niederlage höflich. Sie pflegen eine innige Liebe zu ihrem Verein, wie es sie hierzulande wohl nur noch im Ruhrgebiet gibt. Der Umgangston ist herzlich-familiär, auch auf der Herrentoilette beim Andrang wegen Harndrang in der Halbzeitpause fliegen nicht die Urinbecher, sondern die Scherzworte hin und her. Um mit Heiner Stuhlfauth zu sprechen: Es ist eine Ehre, hier Gast sein zu dürfen. Allerdings habe ich auch das Hinspiel in Nürnberg gesehen, wahrscheinlich zum ersten Mal denselben Verein in Hin- und Rückrunde erlebt. Und Union ist nicht mehr so bissig und gefährlich wie unter Jens Keller. Auch im Hinspiel führte der FCN 1-0, aber ich hatte immer das Gefühl, Union kann ein Tor erzielen. Das war am Freitag anders. Sie waren fleißig und engagiert, aber der letzte Zug zum Tor war nicht da. Vor allem in den ersten 20 Minuten von Halbzeit Zwei, als Union gefühlt 99 Prozent Ballbesitz hatte. Ich fürchte, mit der Entlassung haben die Eisernen ihre Chance auf den Aufstieg vertan. Es wäre so schön, wenn sie aufsteigen würden. Nächstes Jahr werden Wolfsburg, Stuttgart, Köln oder der HSV unten spielen, einen von den vermeintlich Großen erwischt es. Mein Favorit dafür wird mehr und mehr der VfB Stuttgart. Ich hoffe, diese prätentiöse Versammlung von Größenwahn zerlegt sich im letzten Drittel der Saison endgültig selbst. Die Entlassung von Hannes Wolf war da nur der erste Schritt. Wobei, der HSV hat es genauso verdient abzusteigen.

„Aufstieg“, jenes sagenumwobene Wort

Der Club ist besser geworden seit dem dritten Spieltag. Aus manchem der 20-jährigen jungen Hüpfer ist nach sechs Monaten ein gestandener 20-jähriger Zweitligaspieler mit 20 Einsätzen geworden, für den die Zeit gekommen ist, „den nächsten Schritt“ in seiner internationalen Karriere voranzutreiben. „Der nächste Schritt“ wäre echt mal ein Kandidat für das Unwort des Jahres. Im August 2017 war Hanno Behrens der einsame Leader und Torschütze zum 2-2 in der Nachspielzeit, die Mannschaft suchte sich noch. Enrico Valentini war im Hinspiel ein Unsicherheitsfaktor, diesmal ein bärenstarker Außenverteidiger. Der Club hat jetzt mit 37 Punkten einen mehr als in der Relegationssaison unter René Weiler. Damals auf Platz 3, heute auf Platz 2. Damals drei Punkte Vorsprung auf Platz 4, heute sechs. Damals acht Punkte Rückstand auf Platz 1, heute drei. Vielleicht wissen die 3000 von der Tankstelle ganz genau, was es bedeutet, dieses sagenumwobene Wort „Aufstieg“.