Es war nicht alles schlecht

Da bin ich wieder. Ich habe mich neu aufgestellt. Dann habe ich mich neu hingesetzt. Dann wieder aufgestellt. Und wieder hingesetzt. So sind einige Monate vergangen. Jetzt stehe ich wieder – natürlich in den Startlöchern für die neue Saison. Und die Vorfreude ist riesig. Noch riesiger als die riesigen Transfersummen, die allenthalben hin und her bewegt werden.

Der 1. FC Nürnberg hat für seinen Stürmer Guido Burgstaller bereits im Januar 2017 den Fabelbetrag von 1,5 Mio Euro vereinnahmt. Da verblassen auch die 80 Mille für Alvaro Morata, den TeSpaZ, den Teuersten Spanier aller Zeiten. Ich dachte immer, das ist Picasso, jetzt also Morata. Wusste gar nicht, dass der auch malen kann, beidfüßig malen kann. Oder die 18 Millionen für Chicharito. Die teuerste Erbse aller Zeiten wechselt von Bayer Leverkusen zu West Ham United. Oder die mindestens 30 Millionen für Anthony Modeste (Ich zahle bar, behalt‘ den Rest.), der vom Ersten Effzeh Köln zu Tianjin Quanjian nach China wechselt. China ist für Fußballspieler das, was für Politiker Brüssel ist: Sie bekommen dort wahnsinnig viel Geld und sind wie vom Erdboden verschwunden. Aber Schwamm drüber, ist ja nur Geld.

Auftakt im Max-Morlock-Stadion

Der Club hat sich gut und sinnvoll verstärkt und in der Vorbereitung gegen Gladbach und Inter Mailand gewonnen. Jetzt fiebert die Noris dem ersten Pflichtspiel im Max-Morlock-Stadion gegen den 1. FC Kaiserslautern entgegen. Kaiserslautern ist übrigens die Partnerstadt des Londoner Borough of Newham, zu dem auch West Ham gehört und mit Schinken nichts zu tun hat. In Newham befindet sich das Olympiastadion von 2012, in dem West Ham United seine Heimspiele austrägt. Ist das ein Omen – spielen wir nächstes Jahr Europa League?

Keine Heimspiele werden nach wie vor im Münchner Olympiastadion ausgetragen, dafür nach 4444 Tagen (der kicker hat sie gezählt) wieder im Stadion an der Grünwalder Straße. Die Blauen haben mit dem Roten Kryptonit gebrochen, haben das Stahlbad Zweite Liga mit dem Jungbrunnen Vierte Liga nicht ganz freiwillig getauscht und den Bayern die Müllhalde Fröttmaning zur alleinigen Verfügung überlassen. Wenn die ganzen chinesischen Investoren wüssten, dass es in München einen Chinesischen Turm gibt, müssten sich die Roten bei 200 Prozent Luftfeuchtigkeit nicht vom AC Milan herspielen lassen. Wobei der moderne Chinesische Turm von heute in Tianjin steht und 415 Meter hoch ist. Dafür hat er keinen Biergarten. Der TSV 1860 München hat jedenfalls wieder ein Eigenleben und einen Trainer namens Bierofka, zwei der positiven Entwicklungen der alten Saison. Wenn es Ismaiks historische Mission war, den Löwen einen Neuanfang zu ermöglichen, hat er ganze Arbeit geleistet.

Zebras und Störche

Außerdem sind der MSV Duisburg (Niederrheinpokalsieger 2014 und 2017) und Holstein Kiel (Deutscher Meister 1912) in die Zweite Liga aufgestiegen. Und Carl Zeiss Jena und der SV Meppen in die Dritte Liga. Und Werder Bremen, der FC St. Pauli, Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue, Energie Cottbus, Hansa Rostock und Rot-Weiß Essen sind alle nicht abgestiegen. Tradition allenthalben. Oder, wie das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm es ausweist: in jeder Beziehung. Frei übersetzt: in jeder Liga. Überall gibt es Vereine, die die Herzen höher schlagen lassen.

Ein Retortenstück vom großen Kuchen

dolvita108 / Pixabay

Ich bin gespannt, wie es mit Wolfsburg weitergeht. Der dauerverhinderte Weltstar und Miesepampel Julian Draxler ist weg. Gegen den Jungspund mit der Provinzallergie, der mit Raúl zusammen 2013 immerhin das Tor des Jahres fabriziert hat, wirkt Zlatan Ibrahomovic, als hätte er eine Mediationsausbildung absolviert. Auch Klaus Allofs ist weg, ähnlich wie Thomas Schaaf oder Lennon/McCartney konnte er ohne seinen kongenialen Partner nie an die ganz große Zeit anknüpfen. Dafür ist Valérien Ismaël zum Cheftrainer befördert worden und einen neuen Sportdirektor gibt es auch, Olaf Rebbe. Zwischen Rebbe und Ismaël soll es mental-strategisch so mordsmäßig gefunkt haben, dass auch die Mannschaft wieder on fire sein soll.

Bei einer technischen Chartbetrachtung ist Wolfsburg mit 16 Punkten auf Platz 13 zwar ein heißer Abstiegskandidat, aber vielleicht hat ja die Bodenbildung schon eingesetzt und die Wölfe starten gegen den HSV eine Kursrallye. Aber wir wollen nicht spekulieren. Wolfsburg hat wie Hertha den großen Vorteil, dass sich nicht so viele Menschen für diese Mannschaften interessieren. Das heißt, es gibt fast immer Karten. Ich könnte mir zum Beispiel am 25. Spieltag am Samstag Wolfsburg gegen Darmstadt reinpfeifen und dann weiter gen Westen reisen, um am Sonntag Gladbach gegen Bayern zu sehen: Beim Boxenstopp in der Autostadt darf ein Besuch der Sonderausstellung zur Geschichte der Manipulation von Abgaswerten unter dem pfiffigen Titel Heiße Luft – Wichtig ist, was hinten rauskommt natürlich nicht fehlen.

Apropos gen Westen: Der Historiker Heinrich August Winkler hat eine zweibändige Geschichte Deutschlands unter dem Titel Der lange Weg nach Westen geschrieben. Dass am Ende dieses langen Weges Donald Trump auf die Deutschen wartet, ist schon ein bißchen tragisch. Wir haben uns so bemüht, unsere eigenen Sackgesichter auszutreiben und jetzt kommt der. Apropos Gladbach: Dort ist jetzt Dieter Hecking zugange, der besser ist, als ihm in Wolfsburg geschah. Wer es schafft, mit Nürnberg Sechster zu werden, der kann das mit Gladbach auch. Apropos Darmstadt: Torsten Frings ist der erste aus dem WM-Kader von 2006, der eine Stelle als Cheftrainer antritt, Klose ist Azubi beim DFB, fünf Spieler sind noch aktiv. Der Rest bildet die Generation Fernsehexperte (Ballack, Kahn, Lehmann, Metzelder, Hitzlsperger, Kehl). Wenn der Markenkern von Darmstadt Treten Beißen Spucken ist, dann ist Frings der richtige Mann am richtigen Platz. 8 Punkte sind trotzdem verdammt wenig, selbst wenn es bis auf den HSV nur 5 Punkte Rückstand sind.

Apropos Trainerkarussell: Nicht wenige Wegbegleiter und Kenner des 1. FC Nürnberg sind sich ja ganz sicher, dass der Club mit Ismaël garantiert abgestiegen wäre. Genauso, wie sie sich sicher sind, dass der Verkauf von Guido Burgstaller nach Schalke unvermeidlich war. Mit Zusatzklauseln soll Schalke am Ende bis zu 2,5 Mio. für den 14-Tore-Mann bezahlen. Das ist zwar ein bißchen realistischer als die mickrigen 1,5 Mio., die letzte Woche auf Twitter noch als gutes Geschäft gehypt wurden. Wenn in den Klauseln allerdings stünde, dass Schalke Meister werden muss und Burgstaller dazu 14 Tore beizusteuern hat, wäre es immer noch ein schlechtes Geschäft. Aber das kann dem Club nicht passieren. Dort wird endlich mit Augenmaß seriös gewirtschaftet, seit dieser Teufel in Menschengestalt, Martin Bader, nicht mehr sein Unwesen am Valznerweiher treibt, der dem Verein einen Pokalsieg aufnötigte. Bader steht mit Hannover gerade auf Platz 2 der Zweiten Liga. Dort werden weder der FCN noch der VfL Wolfsburg eine Spielklasse weiter oben landen. Aber wenn Ismaël eine gute Rückrunde gelingt, kriegt die Werkself das dringend ersehnte (Re)Tortenstück vom großen Kuchen.

„The Catch“ – 49ers vs. Dallas Cowboys 1982

ZIPNON / Pixabay

Auch wenn der Fußball mit Die Verwirrungen des Zöglings Draxler, Deutscher Mief in deutschen Umkleiden und Kaufrausch in Wolfsburg ein unterhaltsames Programm für die diesjährige Winterpause aufgelegt hat, bleiben wir transatlantisch unverbrüchlich noch ein bißchen beim American Football.

Heute jährt sich ein Ereignis, das prägend war für die Sportgeschichte der USA, vor allem in den achtziger und neunziger Jahren. Ich meine „The Catch“, einen der legendärsten Spielzüge in der Geschichte des American Football. Im Endspiel um die NFC-Championship, vergleichbar mit einem Halbfinale, trafen die San Francisco 49ers mit ihrem Head Coach Bill Walsh als Überraschungsteam der Saison 1981/82 auf ihre Erzrivalen, die Dallas Cowboys. The Catch am 10. Januar 1982 gehört in die Anfangsphase der Erfolgsära der San Francisco 49ers, deren Quarterback (Spielmacher) Joe Montana bis zum heutigen Tag zu den besten Spielern auf dieser Position gehört und vor allem dadurch berühmt wurde, schier aussichtslose Spiele kurz vor Schluß noch in einen Sieg zu verwandeln.

Joe Montana – The Comeback Kid, Big Sky, Joltin‘ Joe

„The Comeback Kid“ war einer seiner vielen Spitznamen, ebenso wie „Big Sky“ Montana (nach dem Motto des nahezu menschenleeren Bundesstaats), oder auch „Joltin‘ Joe“, weil er mit seinem Trickreichtum kaum auszurechnen war. Im Vergleich zu den akuellen Playoffs fällt auf, dass Montanas Spielweise auch nach modernen Standards eine ausgezeichnete und schön anzuschauende Balance zwischen seinen verschiedenen offensiven Spielzügen hatte – langer Pass, kurzer Pass, Laufspiel, Trickspielzug. Er beherrschte das ganze Repertoire, konnte ein Spiel lesen wie sonst kaum einer und besaß eine unglaubliche Nervenstärke. Tom Brady von den New England Patriots, der dieses Jahr als erster Quarterback die Chance hat, seinen fünften Super Bowl zu gewinnen (und damit Montana zu überflügeln) besitzt ebenfalls diese überragende Spielübersicht. Er spielt aber etwas kühler, intellektueller, nicht so schlitzohrig wie Montana. Die aktuellen 49ers haben gerade ihre schlimmste Saison seit Menschengedenken beendet und feuerten danach ihren Trainer. Ein neuer Bill Walsh, der mit Joe Montana seinen kongenialen Partner auf dem Feld hatte, ist leider nicht in Sicht.

Für die Cowboys läutete die Niederlage in Candlestick Park, dem alten Stadion direkt an der San Francisco Bay, den zwischenzeitlichen Niedergang nach einer großen Ära ein. Das Spiel ist im Moment in voller Länge auf YouTube zu sehen. Es war ein verrücktes, wildes, episches Spiel mit insgesamt neun Turnovers (Ballverlusten), davon sechs auf Seiten der 49ers, wobei ein Ballverlust im American Football beinahe so gravierend ist wie ein Eigentor im Fußball. Kleidung, Frisuren, TV-Ästhetik, das ist alles pure Achtziger, auch der Naturrasenacker von Candlestick ist historisch wertvoll. Aber auch nach 35 Jahren ist die Spannung, der Wettkampf zweier großer Mannschaften mit exzellenten Einzelkönnern in jeder Minute zu spüren. Weniger als eine Minute vor Schluß – in einer Minute im American Football kann so viel passieren wie in fünf Minuten im Fußball – düpierte Montana die Abwehrreihe von Dallas mit einem Pass in die Endzone auf seinen Wide Receiver (Fänger) Dwight Clark zum spielentscheidenden Touchdown. Die Cowboys mit ihrem 2,06 Meter großen Abwehrriesen Ed „Too Tall“ Jones, dem dominierenden Running Back der Saison Tony Dorsett und Erfolgscoach Tom Landry waren vom Underdog aufs Kreuz gelegt worden.

Bill Walsh am Taktikbrett

Auch noch viele Jahre danach versuchte Dallas The Catch als ungeplanten Glückstreffer kleinzureden um damit Montanas Leistung und die Größe des Spielzugs zu schmähen. In einem offiziellen Erinnerungsvideo der NFL zu The Catch kommen Dorsett, Jones und Landry ebenso zu Wort wie Clark und Montana. In einer Szene ist Bill Walsh, der Head Coach der 49ers zu sehen, wie er den Spielzug am Taktikbrett erklärt. Der Sieg über Dallas, dem der erste Gewinn des Super Bowl folgte, war kein Glückstreffer – er Präzision, Erfindungsreichtum und Schicksal. Happy Birthday to The Catch!