Meine vier Geheimfavoriten

Meine Geheimfavoriten für die WM sind so geheim, dass sie erst einmal geheim bleiben müssen. So viel sei an dieser Stelle verraten. Es sind zwei europäische, eine afrikanische und eine südamerikanische Mannschaft, denen ich eine große Überraschung zutraue. Vielleicht nicht gleich Weltmeister werden, aber zumindest als Wild Card Außenseiter ins Halbfinale stürmen und die Fans erfreuen. So wie die Türkei und Südkorea bei der WM 2002, oder wie Rußland und die Türkei 2008 bei der EM. Oder wie Dänemark 1992 bei der EM. Halt, die haben ja gewonnen. Also aufgepaßt. Wer den Gruppenkopf zu hoch trägt, sitzt am 26 Juni schon im Entmüdungsbecken.

Zwei der Länder sind ziemlich klein, weshalb die Menschen dort keine Mühe haben, auf engstem Raum Bälle in hoher Geschwindigkeit anzunehmen und zu verarbeiten. Die Bälle dort werden zu Schnetzeln verarbeitet und auf Kinderspielplätzen verstreut, wenn der Rindenmulch mal alle ist. Bei einem Land könnte man vermuten, dass sie mit langen Bällen, mit sehr langen Bällen, mit extrem außergewöhnlich langen Bällen immer nur durch die Mitte spielen. Aber das wäre vorschnell geurteilt. Das vierte Land hat nicht nur mehr als zwanzig Orte, die auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes stehen, sondern auch einen Ort, der zu den am schlimmsten verseuchten der Welt gehört. Kleiner Tipp: Es ist nicht die Müllkippe von Fröttmaning. Zwei Länder haben schon mal ein großes Turnier ausgerichtet, zwei der Länder sind erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. So viel erst mal dazu. Zu leicht soll es ja nicht werden.

Viel interessanter sind ja die Geheimfavoriten für die Ersatzbank von Herrn Löw. Lahm, Khedira, Schweinsteiger, Kroos und Özil sind alle gesetzt. Hätte Löw Kießling mitgenommen, könnte er ihn jetzt draußenlassen, aber so wird es eng. Ich finde immer noch, Schweinsteiger soll sich die Wettkampfhärte beim Aufreißen von Chipstüten und nicht auf dem Platz holen. Dann kann er nebenbei auch noch seinen nächsten Kartoffelchips-Werbespot drehen.

Auf anderen Plätzen:

Kai Butterweck fasst auf indirekter freistoss die (pflichtgemäße) Entrüstung in vielen Medien über die Verschwendungsucht der Verantwortlichen bei dieser WM zusammen. Zitiert werden u.a. Wolfgang Kunath (FR) zum neuen Stadion in Sao Paulo, Peter B. Birrer (NZZ) zum Korruptionsverdacht gegen die FIFA  und Astrid Prange (Deutsche Welle) über die pompöse Selbstinszenierung des Weltverbandes.

Frittenmeister von soccer-warriors.de hat einen Protestspot gegen Sepp Blatter eingestellt, in dem einige der legendärsten Fouls der WM-Geschichte zu sehen sind.

Jens Weinreich notiert seine Ideen zum FIFA-Kongress in Sao Paulo und ist froh, dass er seinen Bullshit-Counter dabei hat.

Von Anpfiff bis Finale – Rituale, Rituale

Letzte Woche stand ich auf dem Nürnberger Hauptmarkt und möchte an dieser Stelle meiner allergrößten Sorge Ausdruck verleihen. Obwohl im Dezember dort der Christkindlesmarkt stattfinden soll, ist noch überhaupt nichts fertig. Möglicherweise muss dieses Weltereignis abgesagt werden. Möglicherweise auch nicht, wie in den letzten 60 Jahren auch. Ach, was wären Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften ohne den Chor der Lamentierer, die auf die unfertigen Stadien verweisen. Vor allem, wenn die Ereignisse in Dritte-Welt-Ländern wie Südafrika (2010) oder Griechenland (2004) stattfinden. Auch die Bananen in Brasilien sind noch unreif, berichten die 300 akkreditierten Journalisten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten übereinstimmend. Dabei sind die Teams doch schon längst im Land, und brauchen nach dem Training dringend Kohlehydrate.

Ein jegliches Medium bringt sich schon mal in Stellung und zeigt Kernkompetenz. spiegel.de hat die Turnierdaten aller deutschen Mannschaften bei Weltmeisterschaften seit 1966 erfasst und präsentiert sie als Vermessung des deutschen Fußballs. In jahrelanger akribischer Arbeit haben die beteiligten Forscher herausgefunden, dass die Bundesrepublik 1974 Weltmeister wurde, weil sie im Endspiel gegen Holland ein Tor mehr erzielte. In der hochabstrakten Sprache der Statistiker spricht man auch von einem „Zweizueins“.

Die taz wirbt mit einem sechswöchigen WM-Abo. Wer es abschließt – eine Woche Trauerarbeit nach dem vergeigten Endspiel ist inklusive – bekommt entweder das Buch „Fußball in Brasilien – Widerstand und Utopie“, oder die taz spendet zehn Euro an das Comitê Popular da Copa e des Olimpiades in Rio de Janeiro. Die Comites Populares sind ein Netz von Bürgerinitiativen, die über die Folgen von WM und Olympia, Gewalt gegen Demonstranten und andere unschöne Dinge in Brasilien informieren, Proteste und – ganz wichtig – alternatives Public Viewing organisieren. Im Spielort Porto Alegre fand 2001 das erste Weltsozialforum statt. Vielleicht ist das ja ein gutes Omen.

Gut und schön, sage ich da als weltoffener Fan, aber offenbar hat die taz aus dem Antidiskriminierungsurteil noch nichts gelernt. Viel sinnvoller wäre es, eine „Stiftung Linksverteidiger“ zu gründen, um dieser im doppelten Sinne Randgruppe zu einer besseren gesellschaftlichen Verankerung zu verhelfen. Die Tatsache, dass Marcel Schmelzer beinahe bei einer WM dabei gewesen wäre, zeigt überdeutlich: Da gibt es Handlungsbedarf.

Die FAZ entwickelt sich immer mehr zur grauen Eminenz des Klassenkampfes. Nicht nur, dass sie jenes von der taz ausgelobte und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebene Buch wohlwollend bespricht. Nein, auf der Titelseite schreibt sie vom „wurmstichigen Altherrenverein FIFA“, um im Sportteil dann ein ziemlich kritisches Porträt von Sepp Blatter zu bringen, obwohl der sich mit Beckenbauer duzt.

Der weltoffene Fan hat derweil ganz andere Probleme. Er muss eine geeignete Location finden, die perfekte Übertragungsqualität mit Pre- und After-Game-Dancing kombiniert und einen kurzen Nachhhauseweg für den wertvollen Sekundenschlaf garantiert. In der Nähe vom Winterfeldtplatz gibt es einen winzigen und leckeren brasilianischen Imbiss und drumherum 1000 Fernseher, aber für die Eröffnung wird es wohl wieder das Haus der Kulturen der Welt werden. Tshabalalas 1-0 gegen Mexiko im Eröffnungsspiel 2010 gehört immer noch zu den besonderen Momenten meiner WM-Geschichte. Wie ein Gewitter über Nordrhein-Westfalen war das, bloß in schön.

Unter rein sportlichen Gesichtspunkten müsste sich Schweinsteiger gegen Portugal auf der Bank und Podolski in der Startelf wiederfinden, aber welche Entscheidung trifft Löw schon unter rein sportlichen Gesichtpunkten? Ich frage mich immer noch, was der arme Kruse ausgefressen hat, weshalb er nicht mitdurfte. Wahrscheinlich hat er mit einem gestohlenen Sponsorenauto einen Blinden überfahren und danach auf den toten Hund gepinkelt. Irgendwas Gravierendes, was seiner Rolle als Vorbild in keinster Weise gerecht wird. Egal, sage ich da als weltoffener Fan. Morgen geht’s los und das ist schön.

Auf anderen Plätzen:

Trainer Baade beantwortet ein paar Fragen rund um die WM und wünscht sich Belgien als Weltmeister.

Torsten Wieland erinnert sich auf koenigsblog.de an Deutschland – Holland 1990 auf Mallorca.

Sebastian Fiebrig stellt auf textilvergehen.de Mutmaßungen darüber an, warum das Fansofa seines Kumpels aus der Alten Försterei geklaut und in die Wuhle geworfen wurde.

Ich stelle Mutmaßungen darüber an, warum ich @textilvergehen auf Twitter nicht folgen darf. Nur weil ich beim 5-3- von Nürnberg gegen Union 2004 im Stadion war? Das wäre sehr nachtragend.

Der große Ausverkauf

Das ist schon ein ziemlich konsequenter Radikalschlag, den Martin Bader da betreibt. Plattenhardt, Hlousek, Nilsson, Pogatetz, Chandler, Hasebe, Ginczek, Feulner, Drmic, jetzt vielleicht auch noch Frantz. Komischerweise hält sich meine Sorge über den sportlichen Substanzverlust in Grenzen. Drmic wäre auch bei einem Klassenerhalt nicht zu halten gewesen. Plattenhardt, Hlousek, Chandler, Pogatetz, und Feulner waren zuletzt eher unterdurchschnittlich. Hasebe und Ginczek sind nominell sicherlich sportliche Verluste, aber Hasebe geht nicht fit zu einer WM, und wenn Stuttgart 2,5 Mio für einen Spieler zahlen will, der vor vier Monaten einen Kreuzbandriss hatte, nun ja.  Der einzig echte Verlust ist Nilsson, auch weil er international so viel Erfahrung hat. Frantz wäre auch ein Verlust, der Club braucht Spieler, die sich mit dem Verein identifizieren. Insofern hätten sie – kalter Kaffee – Maroh nicht nach Köln gehen lassen sollen.

Interessanter sind natürlich die Spieler, die (noch) da sind. Polak finde ich eine gute Wahl, Rakovsky ist sehr spannend. Ob die Ablösung Schäfers jetzt schon erfolgen sollte, nach dem Modell Madrid? Rafa spielt Pokal, Rakovsky die Liga. Allerdings wäre es nicht fair, wenn Schäfer nur ein Saisonspiel macht. Er hat eine überragende Saison gespielt, steht notenmäßig vor den beiden WM-Fahrern Weidenfeller und Zieler und ist die personfizierte Erfahrung. Nichts gegen Ismaël, aber das Haifischbecken Zweite Liga ist etwas anderes, als die Zweite Mannschaft eines finanziell gut situierten Erstligavereins zu trainieren. Da sind ein paar Zweitliga-Haudegen nicht verkehrt. Andererseits, wenn Rakovsky zu lange auf der (langen) Bank sitzt, dann geht er. Sylvestr ist ein sehr interessanter Mann, Mendler, der von Sandhausen zurückkommt, auch. Angha bleibt, was ist mit Eigengewächs Gärtner und mit Stark?  Ich glaube immer noch daran, dass Pekhart ein hervorragender Spieler wäre, wenn man aus ihm  einen Wandspieler machen würde, anstatt ihn nur als Knipser und Wühler zu sehen. Und ein Joker ist er gar nicht. Dass Pinola noch ein Jahr bleibt, gefällt mir. Ich traue ihm zu, sich noch ein bißchen weiter zu entwickeln, auch wenn es schwer wird für ihn mit einem Stammplatz.

Ganz nebenbei hat der Club bisher etwa 13 Millionen Euro eingenommen, ein bißchen Spielraum also für den neuen Trainer und für Wolfgang Wolf. Andreas Ottl, zuletzt Augsburg, ist vereinslos. Der hat mit dem Club mal den Klassenerhalt geschafft. Und die WM ist ja auch noch da, als Schaufenster. Vielleicht findet sich ja der überragende Bosnier der Vorrunde dann am Valznerweiher wieder.