Ein Buch später – „Immer schön gierig bleiben“

Im September 2012 habe ich hier zum letzten Mal geschrieben. Danach folgte eine längere Pause. Es gab keinen besonderen Grund. Ich hatte andere Sachen zu erledigen. I’m known by many names. Im Frühjahr 2013 habe ich mit dem nächsten Buch begonnen, und vor zwei Monaten, Mitte November, ist mein neuer Kriminalroman „Immer schön gierig bleiben“ erschienen. Bei der Stoffsammlung, die im Hintergrund sowieso immer mitläuft, fand ich eine Schlagzeile, die so etwas wie ein Türöffner war: Von einem der auszog, sich selbst zu belügen. Der Verweis auf das Märchen „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“ schuf eine Verbindung zur phantastischen Seite der Geschichte, die ich im neuen Buch unter anderem durch die Existenz riesiger wilder Müllkippen mitten in der Stadt erzähle. Die biographische Formulierung „Von einem, der“ verlieh einer der Hauptfiguren die ersten Konturen. Erstaunlich, dass ein einfacher Satz, von jemand anderem in einem völlig anderem Kontext formuliert, diese katalytische Wirkung entfalten kann. Genau diesen Satz hatte ich gesucht, ohne zu wissen, dass er es war.

Ursprünglich hatte ich vor, einen bestimmen Tag in der Vergangenheit, der nur geschah, um die Lücke zwischen zwei anderen Tagen zu schließen, also kein historisches oder symbolisches Datum, zu rekonstruieren.  Ein Tag, der nur für sich selbst steht. Diese Idee ist in den Hintergrund getreten, obwohl der der 23. Juni eine wichtige Rolle spielt. Anstatt das Geflecht der historischen Details jenes Tages nachzuzeichnen, habe ich mich auf das Geflecht der Figuren konzentriert. Es sind viel weniger Figuren als in „Kleine Biester„, ich hatte mehr Zeit für jede_n Einzelne_n im neuen Buch.

Während des Schreibens gaben die Tasten t, z und o auf meinem Laptop den Geist auf. Die südamerikanische Raubkatze leopardus pardalis hieß plötzlich nur noch el. Die Kunstrichtung Rkk. Der derbe, obszöne Witz, der als gegen den guten Geschmack verstoßend empfunden wird, wurde zu e. Eine externe Tastatur habe ich beim Schreiben des Buches verschlissen, jetzt gehen funktionieren die Tasten auf dem Laptop wieder. Nicht immer, aber immer öfter.

Willi Entenmann R.I.P.

Heute vor einem Jahr ist Willi Entenmann gestorben. Hans Meyer hat 2007 den Pokal geholt, Heinz Höher 1987 den Aufstieg geschafft, aber auch „Willi!“ erfreut sich in Franken allerhöchster Wertschätzung. Entenmann wurde Clubtrainer in der Saison 1991/92, als die Bundesliga für eine Saison mit dem letzten DDR-Meister Hansa Rostock und Dynamo Dresden aufgestockt wurde. In dieser Runde mit 38 Spielen holte der Club 18 Siege und wurde am Ende Siebter. Zu den spektakulären Erfolgen gehörte ein 2-1 gegen den späteren Vizemeister Dortmund, die ohne ihren Miesepampel Klopp auch damals schon schlechte Verlierer waren. Es gab ein 4-3 gegen den späteren Meister Stuttgart und ein 4-0 gegen Köln mit vier Toren in der ersten Halbzeit gegen den Köpke-Rivalen Ilgner. Der Höhepunktt war das 3-1 in München gegen die Bayern, der erste Auswärtssieg dort seit 29 Jahren und der einzige dort seitdem. Ich hatte das Glück, diese vier Spiele live zu sehen, und auch wenn der Pokalsieg eiue Sternstunde war, diese Saison war ein wunderbarer, langer Glückstrip. Entenmann sagte wenig, wenn dann auf schwäbisch, und ließ mit Dorfner, Zarate, Wück und Eckstein einen sagenhaften Offensivfußball spielen. Wie Verbeek, nur mit Siegen.

Die Saison 1992/93 war mit zehn Siegen und Platz 13 solide. Ancona hatte sich Zarate geholt, der 1. FC Kaiserslautern Martin Wagner, André Golke ging zum VfB Stuttgart. Der 19-jährige Christian Wück stand nach der Traumsaison im zweiten Jahr komplett neben sich. 1993/94 waren Zarate und Golke wieder da, aber Offensivgenie Hans Dorfner wurde im September 1993 zum Sportinvaliden, Dieter Eckstein wurde gegangen. Ende Oktober stand der Club nach 14 Spieltagen mit vier Siegen auf Platz 14. Das nächste Spiel war das Heimspiel gegen die Bayern. Ich arbeitete damals in Jerusalem. Deutschsprachige Tageszeitungen vom Montag erhielt man in einem (1) Laden am Dienstag. Internet gab es nicht. In einem vollgestopften Laden für Hausgeräte auf der Jaffa Road  kaufte ich mir ein kleines silbergraues Radio mit Antenne zum Ausziehen. Am Samstag Abend wurden auf BBC die Ergebnisse der „German Bundesliga“ durchgegeben. Der Empfang im New Imperial Hotel in der Altstadt war mäßig. Ich musste einen Ort finden, der ruhig und nicht mit den Quadern aus Jerusalem Stone umbaut war. Am Samstagabend stand ich auf einer Fußgängerbrücke am Montefiore Hill und nahm Peilung auf, bis die Erkennungsmelodie des BBC World Service zu hören war. Sie klang ein wenig so wie die Melodie von Wallace and Gromit. Endlich hieß es „This is London“ und der Club hatte 2-0 gewonnen. Vier Tage später, am 9. November las ich dann, dass Golke und Criens die Torschützen waren. Hans-Jörg Criens, im zarten Alter von 32 Jahren wegen seiner Torjägerqualitäten nach Nürnberg geholt, hatte den Ball irgendwie reingewurschtelt. In der restlichen Saison traf er noch einmal, gegen den VfB Leipzig. Am Tag als ich den Spielbericht mehrfach inhalierte, wurde Entenmann von Präsident Gerhard Voack entlassen. Voacks Schreckenstat veranlasste den zwei Monate vorher nach Schalke abgeschobenen Dieter Eckstein zu der Bemerkung: „Kleine Männer in hohen Schuhen sind gefährlich.“

Nach schwarzen Kassen, Beinahebankrott, Punktabzug und Absturz in die Dritte Liga gelang mit Entenmann 1997 der direkte Wiederaufstieg in die Zweite Liga. Nach fünf Spieltagen wurde Entenmann von Michael A. Roth entlassen. Er möge in Frieden ruhen. Unsterblich ist er sowieso.