Konsolidierung auf leisen Sohlen

Schade, dass Wollscheid geht, aber die mindestens 5,5 Millionen Euro, die der Club von Leverkusen erhält, sind mehr als nur ein schwacher Trost. Der notorische Pleitekandidat, der es in den neunziger Jahren bis zum Punktabzug wegen Verstoß gegen die Lizenzauflagen brachte, ist kurz davor, schuldenfrei zu werden. Das Nachwuchsleistungszentrum wurde bei der letzten Zertifizierung von der DFL mit drei von drei möglichen Sternen bewertet. Mit Plattenhardt, Chandler und Wollscheid aus der U23 sowie Mendler und Wießmeier wurden gleich fünf Spieler über den Umweg der eigenen Nachwuchsmannschaften bei den Profis eingebaut. Und die Späher um Manager Bader werden zu Beginn der neuen Saison bestimmt den einen oder anderen weiteren Überraschungskandidaten aus dem Hut zaubern. Die Zeit, in der der Club das Wärmestübchen für alternde Stars von Uli Hoeneß bis Jan Koller war, scheint endgültig vorbei.

Der Verein hat einen Stil gefunden, der zu seinen Möglichkeiten passt. Dazu gehört immer wieder eine Saison, die vorwiegend in der unteren Tabellenhälfte stattfindet, dazu gehören Durststrecken wie die mit acht sieglosen Spielen gerade eben, dazu gehören auch Verkäufe von Schlüsselspielern, wobei Ekici und vor allem Gündogan im stärksten Mittelfeld der Liga sich ähnlich schwer tun wie Schäfer bei seinem annus horribilis in Stuttgart. Aber auch eine Rückkehroption gibt es im Nürnberger Modell. Nicht erst, seit Andy Köpke an den Valznerweiher zurückkehrte. Sogar Vittek hat nach seiner tollen WM 2010 laut vom Club geträumt.

Natürlich wird nicht jeder Nobody so groß einschlagen wie Wollscheid. Und die permanente Leihökonomie, die Didavi und Hegeler wahrscheinlich zu ihren Stammvereinen zurückwandern läßt, ist ist nicht ohne Risiken. Außerdem wird Schlüsselspieler Simons zum Ende der Saison wahrscheinlich aufhören. Trotzdem hat der Club ganz andere Möglichkeiten als früher. Bunjaku, Mak, Nilsson, Judt sind alles keine Überfliger, können aber Leute aus der ersten Elf adäquat ersetzen. Und die Entscheidung, Maroh nicht an Cottbus abzugeben, hat sich als richtig erwiesen. Man braucht heute drei gleichwertige Innenverteidiger, Lüdenscheid ist hier das Musterbeispiel. Maroh muss sich „Black Magic Woman“ (Santana) und „Der dritte Mann“ (Anton Karas) auf den iPod laden und sich in Geduld üben, um dann in der neuen Saison zusammen mit Klose zu voller Form aufzulaufen.

Nebenbei: Nachdem das 1-0 in Berlin die Spielnote 5,5 erhielt, hat der Club am Samstag wieder ein 1-0, diesmal mit einer glatten 5, gegen Kaiserslautern nach Hause geschaukelt. 15 Punkte mit 14 Toren, das ist auch eine neue Qualität,  auch wenn es gerne immer wieder spektakulär, torreich und offensiv sein darf.

===

Auf www.robalef.de sind die neuesten Kritiken zu Kleine Biester zu finden, außerdem war am vorletzten Samstag die Gala zu 20 Jahren Wahrheit.

Nichts als die Wahrheit

Am vergangenen Samstag hatte Die Wahrheit, die Satireseite der taz, zur Gala anläßlich ihres zwanzigjährigen Bestehens geladen. Bei derartigen Veranstaltungen kann man immer ein paar Kollegen wiedertreffen wie Ralf Sotscheck, der sich regelmäßig in Berlin sehen läßt, oder Bernd Gieseking, mit dem ich im Pantheon in Bonn einmal gelesen habe. Von Michael Sailer, Autor der Serie Schwabinger Krawall und der Carla-Bruni- und Medienfrontexpertin Silke Burmester kannte ich bisher nur ihre Texte, jetzt konnten wir einmal ein paar Takte reden.

Jenny Zylka und Michael Ringel, der zusammen mit Corinna Stegemann die Wahrheit-Redaktion bildet, moderierten den Abend, der natürlich ein Heimspiel vor vierhundert Wahrheitsfanatikern war. Aber warum sollte es im Heimthafen Neukölln kein Heimspiel sein? Das ist sicherlich angenehmer, als beim Bundesverband Deutscher Heimwerker zu feiern.

Mein erster Text war 1996 das Gedicht „Erstes Ahnen“, und das Geheimnis, warum sich die Wahrheit in zwei Jahrzehnten Wider den Stachel löcken nicht verschlissen hat, liegt zum Teil wohl in der Fähigkeit, in den entscheidenden Momenten vollkommen peinlich zu sein. Technischer Höhepunkt des festlichen Abends war ein Live-Schaltung nach Neuseeland, wo Anke Richter einem aufblasbaren Plastikschaf einen Finger in den Plastikanus schob und dank der hervorragenden Tonqualität vor anmutiger Landschaft (Bucht) erklären konnte, diese Tiere hätten in Neuseeland die gleiche Funktion wie Beate-Uhse-Puppen in Deutschland. Zur Belohnung durften sie sich ansehen, wie die in Berlin anwesenden Wahrheit-AutorInnen einen Haka aufführten. Den Kampftanz der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft hatte niemand vorher einstudiert und entsprechend unvollkommen geriet die Performance. You can’t do that on stage anymore, behauptete Frank Zappa dereinst. Yes, we can aber doch. Um so schlecht zu sein, musst du gut sein.

Obwohl die Besserwisserei die Kolumnistenkrankheit Nummer eins ist, sind die meisten Texte nach wie vor frei von Welterklärungsgedröhn und feuilletonistischen Schwurbeligkeiten. Die Autoren und Autorinnen der Wahrheit und Zeichner TOM sind reine Toren, die sich stets aufs Neue über schreckliche Politiker, schreckliches Deutsch oder schreckliche Alltäglichkeiten entsetzen können. Zu den wichtigsten Aufgaben, die die Wahrheit im Geistesleben dieses Landes übernommen hat, gehört die über eine Woche sich hinziehende Schmähung des Gastlandes der Frankfurter Buchmesse. Wenn pünktlich ab Mitte September Länder zu den Gralshütern des Weltkulturerbes hochgejubelt werden, von denen man im August noch nicht wusste, dass es dort Verlage gibt, ist die Wahrheit unerbittlich und unversöhnlich zur Stelle und macht nieder, was es nieder zu machen gilt. Weil der Sinn der Organisation seit zwanzig Jahren ihr Scheitern ist, kann es eigentlich so weitergehen. Delectare et prodesse, und ab und zu eins in die Fresse.

Dutt weiter, Klopp bedröppelt, Heynckes überqualifiziert

Jetzt muss Johannes B. Kerner lauter neue Namen lernen. Denn Leverkusen begleitet den Abonnementsachtelfinalteilnehmer Bayern München in die K.O-Runde der Champions League. Ob die breite Front der Dutt-und-Ballack-Verächter dadurch bröckeln wird? Ein magisches Händchen des vorab herzhaft geschmähten Trainers beim Wechsel Derdyiok für Kadlec, ein Tor eines Verteidigers in der Nachspielzeit. Vielleicht passt es ja doch ganz gut mit Dutt und Bayer. Vielleicht sind diese gedrehten Spiele, der Kampfgeist, die fehlende Schönspielerei, der Leithammel mit der Nasenmaske und dem losen Mundwerk genau das, was Bayer braucht, um sich nach allen Regeln der Kunst zusammenzuraufen. Nicht elf Freunde, elf Giftzwerge (Ruuuudi!) müsst ihr sein.

Die Bayern dürften richtig froh sein, dass sie Platz eins in der Gruppe gesichert haben, warten doch auf den zweiten Plätzen im Moment so dankbare Gegner wie Manchester United oder AC Mailand und nicht die dicken erstplatzierten Brocken wie APOEL Nikosia oder Benfica Lissabon.

Das letzte Wort ist auch in Dortmund noch nicht gesprochen. Im entscheidenden Spiel gegen Marseille ist den tapferen und arg gerupften Duracellhäschen jederzeit ein 4-0 zuzutrauen. Sie haben nichts mehr zu verlieren, was ihren Tatendrang lähmen könnte. Bleibt nur die Frage, ob die fanatischen Piräer (Piräi) ihre letzte Chance, die sie ebenfalls noch haben, gegen Arsenal herschenken. Und ob die Engländer überhaupt mit ihrer ersten Garnitur antreten.

=====

Eine Besprechung meines neuen Kriminalromans „Kleine Biester“ ist auf Deutschlandradio Kultur zu hören und zu lesen.

Am Freitag, 25.11. lese ich aus dem Buch in der Buchhandlung Bötzowbuch, Bötzowstr. 27, 10407 Berlin. Eintritt 3 €.
Weitere Termine und einen Blog zu allem außer Fußball gibt es auf www.robalef.de.