Die Hölle, das sind die anderen Weihnachtsmärkte

 

Fieberhaft fahndet die Polizei nach dem Menschenfeind, der auf einigen Berliner Weihnachtsmärkten einige Besucher mit einer unangenehmen Flüssigkeit attackiert hat. Daher möchte ich an dieser Stelle gerne ein Geständnis ablegen.

Ich war’s. Ich nehme alle Schuld auf mich, wenn ihr nur meine 375000 Helfershelfer aus allen Berliner Bezirken ungeschoren lasst. Sie können nichts dafür, ich habe sie überredet, verführt zur bösen Tat. Ich habe aus Notwehr gehandelt, denn die Berliner Weihnachtsmärkte verbinden Vorhölle, Zwischenhölle und Nachhölle in einer Art und Weise, dass selbst langjährigen Fegefeuerbesuchern der Angstschweiß auf die Stirn tritt. Diese Konglomerate aus Fressbuden, Saufbuden, Kaufbuden und Dudelpop im Gehirnwäscheremix der Achtziger, Neunziger und nicht zuletzt der Nullkommanullerjahre  haben nichts nichts nichts mit Weihnachten zu tun. Gegen Heilsteine aus dem Erzgebirge, T-Shirts aus dem Erzgebirge, Leuchtelemente für die Außenfassade aus dem Erzgebirge, die in vier Wochen Advent mehr Strom verbrauchen als ein kleines afrikanisches Land im ganzen Jahr hat der vereinzelt gesichtete Holzschmuck aus dem Erzgebirge keine Chance mehr. Der wird in den letzten Jahren vor allem gern genommen, um ein lustig prasselndes Feuer für die Chinapfanne aus dem Erzgebirge anzuschüren. Und der Kerosinduft des flüssigen Grillanzünders lässt Kinderaugen höher schlagen.

Die gute Nachricht für alle, die ebenfalls Anschläge auf Weihnachtsmärkten planen: Man muss sie nicht auskundschaften. Ab Ende November wachsen sie wie bösartige Geschwüre aus den Freiflächen in allen Berliner Bezirken hervor, pflanzen sich wie Warzen auf das Antlitz der Stadt. Es gibt mehr als zwei Dutzend davon, und es lässt sich nicht vermeiden, sie zu finden. Wenn man am Alexanderplatz arglos und hungrig von der U-Bahn zu Burger King läuft, verläuft man sich schnell im Gewirr der kleinen Büdchen. Über allem liegt der vorweihnachtliche Zauber von Leggins aus dem Erzgebirge, Bohrfutterschlüsseln aus dem Erzgebirge und kalt gewordenem Glühwein, der bereits unverzehrt wie erbrochen riecht und im Übrigen sehr gut zu den Lebkuchen aus Taiwan passt.

Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich nicht alle Weihnachtsmärkte persönlich kenne, ich sollte die Betreuung in den Außenbezirken an den einen oder anderen meiner 375000 Helfershelfer delegieren. Aber der an der Gedächtniskirche ist von besonders ausgesuchter Scheußlichkeit und daher mein heimlicher Liebling. Verweile doch, du bist so schön abgeranzt, möchte man der Shoppingschneise zwischen Europacenter und Bahnhof Zoo zurufen. Und ich kann mich auch heuer kaum entscheiden zwischen Berlinnippes aus dem Erzgebirge, Sombreros aus dem Erzgebirge und Justin-Bieber-Postern aus dem Erzgebirge.

Hokusai – Namen, Tiere, Skizzen

Im Oktober habe ich mir die große Ausstellung zu Hokusai im Martin-Gropius-Bau angesehen. Drei Aspekte haben mich besonders beeindruckt. Sein ständiger Wechsel von Pseudonymen/Künstlernamen, die Tierbilder und seine Übungsbücher. Hokusai lebte von 1760 bis 1849 und hat mehrfach seinen Namen geändert, macnhmal übernahm er auch den Namen seines Lehrers. Mit 60 nannte er sich Iitsu. Weil der Tierkreis nach 60 Jahren einen vollen Zirkel durchlaufen hat, bedeutet Iitsu so viel wie der Einjährige. Mit 60 neu geboren, das erinnert an I’m younger than that now.

Die Ausstellungsmacher haben auf Hokusais Shunga, die erotisch-pornographischen Bilder, vollständig verzichtet. Vielleicht war das eine gute Idee, um nicht zu sehr von der Kunst abzulenken. Vielleicht gibt es im MGB ungeschriebene Regeln, was eine familienkompatible Ausstellung alles nicht zeigen darf. Jedenfalls, die Tierdarstellungen waren faszinierend. Zwei kämpfende Regenpfeifer über einem Bach, und die Wasserwirbel unten und das geplusterte Gefieder der Kontrahenten oben folgt der gleichen Linienführungen, dem gleichen geometrischen Grundmuster. Das ganze auf einer schmalen Tapetenbahn, nicht im abendländisch-üblichen Bilderrahmen.

In den Schulungs- und Skizzenbüchern, von denen sich der Name Manga ableitet und die starke Ähnlichkeit mit Robert Crumbs Sketchbooks haben, gibt es eine Seite, auf der Hokusai zeigt, wie er aus Kreis und Dreieck einen Ochsen zeichnet. Eine Rückenansicht des auf dem Boden ruhenden Tieres. Mehr als 15 dieser Skizzenbücher hat er veröffentlicht. Sie erinnern mich an die Schnibbelbücher, die wir beim Layouten unserer Schülerzeitung verwendeten. Cut and Paste hieß damals noch mit der Schere ausschneiden und mit Pritt-Stift auf die Druckvorlage kleben, die von DIN A 4 auf DIN A 5 herunter verkleinert wurde. In den Schnibbelbüchern gab es Icons, Karikaturen und Mantschkerln für jedes Thema, und bestimmt haben wir damit ständig Urheberrechtsverstöße begangen. Auch bei Hokusai finden wir Motive für alle Lebenslagen. In einem Buch sind Theatermasken und Götter zu finden. In einem anderen sind sämtliche Berufe jener Epoche zusammengefaßt. Es gibt einen Weber mit dem Webstuhl, einen Teeträger. einen Fassmacher. Letzterer ist in die Serie 36 Ansichten des Fuji eingegangen.Eine illustrierte Sozialgeschichte Japans. Dieses Offenkundigmachen des hundertfachen Übens hat mir gefallen. Weil das eine, fertige Werk schnell den falschen Eindruck erweckt, es sei einfach so gelungen. Hier kann man einen Blick in die Werkstatt werfen und sehen, wie oft der Meister angesetzt hat, wie er das, was er am besten konnte, immer wieder trainiert hat, bis er fast neunzig war.

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Kleine Biester ist im Moment Gegenstand der Diskussion in der Leserunde der Krimi-Couch. Einige Mitglieder des von LeserInnen für LeserInnen betriebenen Krimi-Portals knöpfen sich meinen Roman vor und diskutieren öffentlich. Gelegentlich melde ich mich auch zu Wort. Das wird bis zum 12. Dezember weitergehen. Wer mag, schaut mal vorbei und hinterläßt einen Kommentar.

Konsolidierung auf leisen Sohlen

Schade, dass Wollscheid geht, aber die mindestens 5,5 Millionen Euro, die der Club von Leverkusen erhält, sind mehr als nur ein schwacher Trost. Der notorische Pleitekandidat, der es in den neunziger Jahren bis zum Punktabzug wegen Verstoß gegen die Lizenzauflagen brachte, ist kurz davor, schuldenfrei zu werden. Das Nachwuchsleistungszentrum wurde bei der letzten Zertifizierung von der DFL mit drei von drei möglichen Sternen bewertet. Mit Plattenhardt, Chandler und Wollscheid aus der U23 sowie Mendler und Wießmeier wurden gleich fünf Spieler über den Umweg der eigenen Nachwuchsmannschaften bei den Profis eingebaut. Und die Späher um Manager Bader werden zu Beginn der neuen Saison bestimmt den einen oder anderen weiteren Überraschungskandidaten aus dem Hut zaubern. Die Zeit, in der der Club das Wärmestübchen für alternde Stars von Uli Hoeneß bis Jan Koller war, scheint endgültig vorbei.

Der Verein hat einen Stil gefunden, der zu seinen Möglichkeiten passt. Dazu gehört immer wieder eine Saison, die vorwiegend in der unteren Tabellenhälfte stattfindet, dazu gehören Durststrecken wie die mit acht sieglosen Spielen gerade eben, dazu gehören auch Verkäufe von Schlüsselspielern, wobei Ekici und vor allem Gündogan im stärksten Mittelfeld der Liga sich ähnlich schwer tun wie Schäfer bei seinem annus horribilis in Stuttgart. Aber auch eine Rückkehroption gibt es im Nürnberger Modell. Nicht erst, seit Andy Köpke an den Valznerweiher zurückkehrte. Sogar Vittek hat nach seiner tollen WM 2010 laut vom Club geträumt.

Natürlich wird nicht jeder Nobody so groß einschlagen wie Wollscheid. Und die permanente Leihökonomie, die Didavi und Hegeler wahrscheinlich zu ihren Stammvereinen zurückwandern läßt, ist ist nicht ohne Risiken. Außerdem wird Schlüsselspieler Simons zum Ende der Saison wahrscheinlich aufhören. Trotzdem hat der Club ganz andere Möglichkeiten als früher. Bunjaku, Mak, Nilsson, Judt sind alles keine Überfliger, können aber Leute aus der ersten Elf adäquat ersetzen. Und die Entscheidung, Maroh nicht an Cottbus abzugeben, hat sich als richtig erwiesen. Man braucht heute drei gleichwertige Innenverteidiger, Lüdenscheid ist hier das Musterbeispiel. Maroh muss sich „Black Magic Woman“ (Santana) und „Der dritte Mann“ (Anton Karas) auf den iPod laden und sich in Geduld üben, um dann in der neuen Saison zusammen mit Klose zu voller Form aufzulaufen.

Nebenbei: Nachdem das 1-0 in Berlin die Spielnote 5,5 erhielt, hat der Club am Samstag wieder ein 1-0, diesmal mit einer glatten 5, gegen Kaiserslautern nach Hause geschaukelt. 15 Punkte mit 14 Toren, das ist auch eine neue Qualität,  auch wenn es gerne immer wieder spektakulär, torreich und offensiv sein darf.

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Auf www.robalef.de sind die neuesten Kritiken zu Kleine Biester zu finden, außerdem war am vorletzten Samstag die Gala zu 20 Jahren Wahrheit.