Das 8-Millionen-Euro-Tor

Als das Knappste aller Ergebnisse gilt gemeinhin das 1:0, nicht so im Europacup. Unbesiegt scheidet man dort oftmals aus, ungewonnen (???) geht man als Sieger vom Platz. Die Auswärtstoreregel macht es möglich. Als Kind dachte ich immer, Albert Einstein hätte sie erfunden und deshalb den Friedensnobelpreis bekommen. Aber er hat sich mit weitaus simpleren Dingen beschäftigt, wie ich seit dem Einstein-Jahr 2005 weiß.

Gestern war der HSV der glückliche und zugleich verdiente Sieger beim 1:1 in Pamplona. Van der Vaart ist zwar noch nicht in der Sahnehäubchenverfassung wie vor seiner Verletzung, aber was er gestern gerannt, gegrätscht und an Zweikämpfen abgeräumt hat, machte ihn in meinen Augen zum Spieler des Spiels, ein echter Käpt’n, auch bei Windstärke zehn im eigenen Strafraum immer Vorbild für eine Mannschaft, die sich gesucht und gefunden hat.

Man hatte den HSV im Vorfeld ja sehr genau beobachtet, um nicht zu sagen belauert. Wie wird der Start nach der Höhenflugsaison? Wie geht es ohne Barbarez, Van Buyten , Bouhlarouz und Beinlich? Mit dem rätselhaften Lauth, dem No-Name-Einkauf Sanogo, dem stets stark rotgefährdeten de Jong, wegen dessen die ganze Defensivstruktur umgemodelt wurde? Gestern ging es ausgezeichnet. Den Klops von Kirschstein und seinen Abwehrleuten gut verdaut, danach sich mit Herz reingespielt und -gekämpft. Lauth und Sanogo zwar torlos, aber torgefährlich (Entlastung!) und das alles entscheidende 1:1 vom Einwechselspieler Benjamin vorbereitet und vom mustergültig fairen Defensivmann de Jong irgendwie rein. Kein Tor des Monats, für den HSV das Tor des Jahres.

Erinnerungen werden wach an ein anderes 1:1 durch einen Abwehrspieler gegen eine spanische Mannschaft, das eine Ära begegründete und noch viel mehr. Schwarzenbeck gegen Atletico Madrid am 15. Mai 1974. Der Katsche traf zwar erst in der 120. Minute, dafür hatte Pamplona nach dem 1:1 noch drei hundertprozentige Torchancen. (Das ist übrigens wie 100% Regenwahrscheinlichkeit im Wetterbericht, und dann regnet es doch nicht, merkwürdig).
Nach dem Spiel kam bei Maischberger was über Hellseher, und ein Astrologe erklärte sehr geschäftig und gar nicht esoterisch etwas über den Wendekreis des Saturns, der 29 Jahre dauert. Zwischen dem 1:1 von Katsche und dem 1:1 von de Jong liegen 32 Jahre. Ist das der Wendekreis des Balls? Gibt es irgendwo da draußen jenseits des Saturns noch einen Himmelskörper, dereinen Umfang von 68 bis 70 Zentimeter haben, zwischen 410 und 450 Gramm schwer sein und einen Luftdruck von 0,6 bis 1,1 bar aufweisen soll? Warum hat uns Galilei das verschwiegen? Der HSV ist wieder ein ganz heißer Tip für große sportliche Erfolge dieses Jahr. Die Sterne lügen nicht.

Der Schroth – das unbekannte Wesen

Jupp Heynckes war enttäuscht und das zurecht: Nach zuletzt konstant desolaten Auswärtsleistungen spielte Gladbach mehr als nur gut mit und scheiterte an der miserablen Chancenverwertung und einem Mann, der soviel Glamour besitzt wie ein Briefträger und seine Botschaften ebenso zuverlässig zustellt, an Markus Schroth. Eigentlich ist so jemand der typische Abwehrspieler, groß, wortkarg, Stirnglatze, kein Spitzname, kein Jahrhundertspiel, kein Torschützenkönig, kein Werbevertrag. Einfach immer nur dabei und da, wenn man ihn braucht. Ein Dieter Eilts als Mittelstürmer. Schon bei Wolfgang Wolf, dem unglücklichen Vorgänger von Hans Meyer war Schroth hoch im Kurs und gesetzt, wenn er fit war. Heute war er der Matchwinner, gegen Stuttgart traf er zum vorentscheidenden 2:0. Immerhin schon 58 Bundesligatore hat er heimlich still und leise geschossen oder, wie heute, mit vollem Einsatz geköpft. Einer der ganz wichtigen Spieler, besonders heute, nachdem neben Vittek auch noch Galasek ab der 20. Minute fehlte. Ich will hier nicht den Mahner und Warner Brother markieren, der an jedem Wochenende Rot fordert, aber so wie Delura muß man da nicht reingehen, mit den Stollen voran in den Gegner. Nach der Auswechslung von Galasek zeigte Pinola eine erfreulich abgeklärte Partie, aber die Innenverteidigung kam unglaublich ins Schwimmen.

Sehr viel Glück, dass Gladbach zu unentschlossen vor dem Tor war, obwohl immer wieder Insua meisterhafte, kleine Pässe schlug und vier sehr gute Freistoßsituationen die Möglichkeit zum Ausgleich geboten hätten. Ein Zittersieg war es nicht, aber über ein 1:1 hätte sich Nürnberg nicht beschweren können.

Dass Marek Mintal fast eine halbe Stunde gut mitspielte, auch den einen oder anderen Zweikampf beherzt annahm, ging dabei fast unter. Das, was er spielt, verlernt man auch nach zwei Beinbrüchen nicht. Könnte sein, dass der Ersatz für Vittek heute schon auf dem Platz stand. Gladbach war ein anderes Kaliber als Stuttgart und wird sich im Vergleich zum Vorjahr zwei Plätze nach oben verbessern können, Heynckes muß nur aufpassen, dass er nicht zu verbissen wird. Er war schon wieder auf dem Weg in den Osram-Bereich. Ein Prise Coolness würde ihm nicht schaden, aber wahrscheinlich ist es nur Lampenfieber vor laufender Kamera.

Streng genommen fehlen Nürnberg jetzt noch 34 Punkte für den Klassenerhalt, aber in einer Saison, in der nach zwei Spielen die Null noch steht, Carsten Ramelow am ersten Spieltag ein Tor schießt und Arthur Wichniarek bei Bielefeld in der Startelf steht, ist alles möglich.

Die Wiederauferstandenen

Wenn totes Fleisch plötzlich anfängt, sich zu bewegen, nennen es die meisten einen Lebensmittelskandal, Katholiken sagen dazu einfach Auferstehung.

Wenn mausetotgesagte Stürmer plötzlich Bälle einlochen wie ichereins es kaum beim Minigolf zustande bringt, wundern sich die Fachleute und vielfach ist von der wundersamen Wandlung des Spielers X oder Y die Rede.

Thomas Brdaric, dem man, auch ohne ihm übel zu wollen, einen gewissen Hang zur Selbstüberschätzung bisher nicht absprechen konnte, trifft wie am Schnürchen, seit Neururer weg ist aus Hannover. Der von Klinsmann vor der WM (zurecht) ausgebootete Kevin Kuranyi spielt mannschaftsdienlich wie eh und je, schießt aber plötzlich auch wichtige Tore. Cacau vom VfB Stuttgart, der die Schalensitze auf der Haupttribüne alle schon beim Vornamen kannte, ist mit einem Mal gesetzt im Sturm bei Armin Veh, und Michael Thurk, bei dessen Wechsel zu Eintracht Frankfurt manch einer stilll den Kopf schüttelte, mutiert über Nacht zum Mr. Europacup. Drei Tore von einem deutschen Spieler in einem Europacup-Spiel, das ist wohl schon ein klein wenig länger her. Fehlt eigentlich nur noch Artur Wichniarek, der morgen gegen die Bayern die Chance hat, zwei grauenvolle Jahre binnen neunzig Minuten vergessen zu machen.
Vor ein paar Jahren tauchte Fredi Bobic in Dortmund ab und in Hannover wieder auf, schoß entspannte 15 (16?) Tore und sicherte 96 den Klassenerhalt. Besonders eindrucksvoll auch die Bilanz von Michael Preetz, der als ewiger Zweitligastürmer schon abgestempelt war, ehe er in Berlin nicht nur den Torrekord von Erich Beer übertrumpfte, sondern auch zu einem der feinsten Spieler wurde, die die Liga in den letzten zehn Jahren hatte. Von Robert Vittek gar nicht erst zu reden.  Oder von Neuville.

Woran es liegt? Keiner weiß es. Ist eben ein Wunder. Ich vermute, eine Studie unter Fußballern würde beweisen, dass Stürmer etwa drei bis viermal so abergläubisch sind wie Abwehrspieler und doppelt so sehr wie Torhüter. Sicheres Stellungsspiel, Absprachen in der Viererkette, Kopfballstärke, das ist alles solides Handwerk, manchmal auch (Nesta) Kunst. Aber die Dinger reinzumachen, das hat etwas Magisches. Als hätte einem die Muse die Füße geküßt.

Bei Benny Lauth hat ein mißhelliges Unterteufelchen offensichtlich auf die Schuhe gekackt. Lauths Wiederauferstehung wird so schnell nicht stattfinden und wenn, dann nicht beim HSV. Das ist schade. Lauth ist sehr elegant, ein körperloser Spieler, erinnert ein bißchen an Henry, von der Torquote mal abgesehen. Vielleicht einer für Heynckes oder den VfB. Die Winterpause kommt ja demnächst. Und der Unterteufel sucht sich ein anderes Opfer.